(ots) - Er heißt Beau Jeu, schönes Spiel, und seit
Freitagabend rollt der Ball bei der Europameisterschaft in
Frankreich. Ein kontinentales Sportfest von globalen Dimensionen
nimmt seinen Lauf - scheinbar unerbittlich und vor allem eines:
scheinbar unausweichlich. 24 Mannschaften, 51 Spiele in 30 Tagen vor
2,5 Millionen Zuschauern in zehn Stadien: Endlich, endlich soll der
Fußball im Mittelpunkt stehen. Dies freilich bleibt ein frommer
Wunsch. Er gaukelt eine Scheinwelt vor, in der sich der Sport
außerhalb der gesellschaftlichen Realitäten bewegt. Die Angaben
schwanken stark, aber diverse Zahlen skizzieren das Ausmaß der
Bedrohung: Der französische Staat bietet rund 90 000
Sicherheitskräfte für den Schutz des Spektakels auf, allein 13 000
davon sind in der Hauptstadt Paris im Einsatz. Auf 34 Millionen Euro
beläuft sich nach offiziellen Angaben der Etat für die gewaltigen
Sicherheitsmaßnahmen, die tatsächlichen Ausgaben dürften weit höher
liegen. Die Bürgerrechte stehen für die Dauer des Ereignisses zur
Disposition. Diese Europameisterschaft ist schon jetzt mit dem
dunklen Wort Schatten verknüpft. Die Terrorgefahr diktiert die
EM-Agenda, der Spielplan ergänzt sie nur, selbst er ist den
Bedürfnissen der Sicherheit unterworfen. Geisterspiele vor leeren
Rängen sind in die Gedankengänge der Organisatoren längst
eingespeist. Man dürfe sich dem Terror nicht beugen, zumal in der
stolzen Nation Frankreich, so lautet das gebetsmühlenartig
vorgetragene Argument. Doch dieses verkommt in diesen Tagen zur
beliebigen Floskel. Wenn es darum geht, eine kräftiges und
selbstbewusstes Zeichen des Widerstands gegen die angeblich
allgegenwärtige Bedrohung zu setzen, dann wäre eine Absage die einzig
logische Konsequenz gewesen. So aber schwingt in der Begründung für
die Austragung der EM Trotz mit. Der Sport tut ja gerne so, als sei
er politischen Zusammenhängen enthoben, als schwebe er gleichsam auf
einer Wolke des edlen und gewaltfreien Wettstreits. Das Bild ist an
Verlogenheit kaum zu überbieten. Nicht zuletzt ökonomische Interessen
und Zwänge haben verhindert, eine Absage im Milliarden-Business
Fußball überhaupt ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Und nach der
hoffentlich gewaltfrei verlaufenen Europameisterschaft zieht der
sportliche Unterhaltungstross mit einer kurzen Unterbrechung weiter
zu den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Dort wankt das
demokratische System, dort stürzt die Wirtschaftskrise Milli0nen
Menschen in bittere Armut, dort bedroht das Zika-Virus die
Gesundheit. Das Internationale Olympische Komitee hat noch in diesem
Juni die Wahl zwischen Pest und Cholera, wenn es über die Teilnahme
der massiv ins Zwielicht geratenen russischen Athleten entscheidet.
Der Ausschluss einer Weltmacht würde das System des Weltsports in
seinen Grundfesten erschüttern. Ein Start belasteter russischer
Athleten würde den olympischen Idealen Hohn sprechen. Dass die
horrenden Ausgaben für das gut zweiwöchige Fest der fünf Ringe die
wirtschaftlichen Fundamente des Schwellenlandes Brasilien ins Wanken
bringen könnten, steht noch auf einem ganz anderen Blatt. Freilich
gilt unverändert jene Maxime, die der damalige IOC-Präsident Avery
Brundage nach den Terroranschlägen der Spiele von München 1972
formuliert hatte: The Games must go on! Der Moment, kurz mal
innezuhalten und die Prioritäten zu überdenken, wurde verpasst. So
werden wir in diesem Sommer Zeugen zweier sportlicher
Mega-Ereignisse. Die Welt hätte sie nicht unbedingt gebraucht.
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