(ots) - Die EU muss sich nach dem Brexitschock ändern -
darin immerhin sind Europa-Skeptiker und EU-Enthusiasten, Rechte und
Linke, Nord- und Südländer einig. Schaut man sich allerdings die
Forderungen des slowakischen Premiers Robert Fico (der ab Juli für
sechs Monate den Ratsvorsitz führt) genauer an, sind sie mit den
Reformrezepten von - beispielsweise - Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker (CDU) und Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD)
völlig unvereinbar. Fico ist überzeugt, dass die populistischen
Strömungen, die sich wie eine Seuche über Europa ausbreiten, nur
dadurch eingedämmt werden können, dass man den Bürgern ihre
souveränen Nationalstaaten zurückgibt. Deshalb hat er den
Post-Brexit-Gipfel, auf dem die verbliebenen 27 EU-Regierungen Mitte
September über die Zukunft der EU beraten wollen, nach Bratislava
verlegt. Es ist der erste Gipfel seit zwölf Jahren, der nicht in
Europas Hauptstadt stattfindet. Fico meint, außerhalb der Brüsseler
Blase ließe es sich besser nachdenken. Doch sind EU-Gipfel keine
Klausurtagungen sondern Teil des politischen Betriebs. EU-Kommission,
Parlament und Rat der Regierungen sollten wie gut geschmierte Rädchen
ineinander greifen, wenn die Gesetzesmaschine angeworfen wird.
Bleiben wichtige Vorhaben wie die Bankenregulierung, der Klimaschutz,
der gemeinsame Grenzschutz oder die Lastenteilung bei der
Einwanderung jahrelang im Getriebe stecken, steigert das die
EU-Verdrossenheit der Bürger. Statt eine unverbindliche Debatte über
die Zukunft Europas loszutreten, sollten die Politiker endlich
umsetzen, was sie gemeinsam als "Vertrag von Lissabon" beschlossen
haben. Bereits vor der EU-Erweiterung hatte sich die Erkenntnis
durchgesetzt, dass viele Aufgaben national nicht mehr zu stemmen sind
und deshalb die Gesetzgebung auf europäischer Ebene reibungsloser
funktionieren muss. Doch die nationalen Regierungen gaben nur
widerwillig Kompetenzen an die EU-Kommission und das Europaparlament
ab. Wo immer möglich, versuchen sie den Gemeinschaftsweg zu vermeiden
und sich zwischenstaatliche Ausweichrouten zu suchen. Ratspräsident
Robert Fico sagt nun ganz offen, dass er möglichst viel Sand ins
Räderwerk des Lissabon-Vertrags werfen will. Die Wähler hingegen
wollen, dass die EU funktioniert - auch wenn sie dafür ganz sicher
nicht geliebt wird. Beliebter könnte sie werden, wenn
Kommissionspräsident Juncker das Programm umsetzen würde, mit dem er
angetreten ist: Nur noch die großen Dinge in Brüssel zu regeln, die
kleinen hingegen den Staaten, Ländern und Regionen zu überlassen, wo
sie besser aufgehoben wären. Das Freihandelsabkommen mit Kanada ist
so ein großes Ding. Sämtliche Mitgliedsstaaten haben der
EU-Kommission dafür das Verhandlungsmandat erteilt. Nun doch noch die
nationalen Parlamente damit zu befassen und eine jahrelange
Hängepartie zu riskieren, war ein großer Fehler. Wer nach
entbehrlichen kleinen Dingen sucht, braucht nur einen Blick auf die
gestrige Tagesordnung des EU-Parlaments zu werfen. Soziale Inklusion
von Flüchtlingen, Sozialnormen und Menschenrechte bei Unternehmen,
eine zukunftsfähige Strategie für Handel und Investitionen - die
politische Führung der EU-Kommission weiß genau, dass diese
Regelungswut EU-Verdrossenheit produziert. Aber viele EU-Beamte haben
sich in ihrem jeweiligen Schrebergärtchen, wo sie nach eigenem Gusto
die Welt ein bisschen verändern dürfen, wunderbar eingerichtet. Es
ist eine Herkulesaufgabe, diesen Eifer zu bremsen und in nützlichere
Kanäle umzuleiten. Geschieht das aber nicht, wird es mittelfristig
keine EU-Kommission mehr geben, bei der die Erbsenzähler ungestört
ihr Werk tun können.
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