(ots) - Das letzte Hurra der Generation Löw
von Heinz Gläser
Die gute Nachricht für die deutschen Fußballfans lautet: Das
Versprechen auf eine gute Zukunft gilt noch. Die schlechte folgt auf
dem Fuß: Es gilt nur noch sehr begrenzte Zeit. Das Halbfinal-Aus bei
der EM in Frankreich mag unglücklich gewesen sein, doch es folgte der
Logik der Darbietungen seit dem WM-Triumph. Ãœber die holprige
Qualifikation bis hinein ins Turnier zog sich wie ein roter Faden die
Erkenntnis: Das Wohl und Wehe der Nationalmannschaft hängt an der
Generation 2009, und sie ist eng mit dem Namen Joachim Löw verknüpft.
Jene Akteure, die in diesem Jahr mit der deutschen U21 den
Europameistertitel holten, sind das Gerüst. Von Manuel Neuer über
Jerome Boateng und Sami Khedira bis hin zu Mesut Özil bilden sie den
Stamm, den Löw um Routiniers wie Bastian Schweinsteiger und Lukas
Podolski ergänzte. Hinzu kamen die Ausnahmekönner Thomas Müller und
Toni Kroos. Eine Ära, die mit den ebenso begeisternden wie
unbekümmerten Auftritten bei der WM 2010 in Südafrika begann, neigt
sich dem Ende zu. Die Stars sind verletzungsanfällig geworden, manche
wirken - zumal seit der magischen Nacht von Rio de Janeiro - satt.
Die Abschied der verdienten Turnierveteranen Schweinsteiger und Lukas
Podolski steht bevor. Man kann ihn auch als überfällig bezeichnen.
Der deutsche Fußball gaukelt sich seit einigen Jahren vor, die
Bundesliga sei dank gezielter Nachwuchsförderung ein nie versiegender
Quell neuer Talente. Dem ist nicht so. Löw hat immer mal wieder
variiert, hat in Brasilien frische Kräfte wie Matthias Ginter, Erik
Durm oder Christoph Kramer aufgerufen - und anschließend gleich
wieder aussortiert. Was er in Frankreich als personelle Ergänzungen
aufbot, waren Notlösungen - siehe den Kölner Jonas Hector. Und Mario
Götze, die chronisch unerfüllte Hoffnung, stagniert in seiner
Entwicklung. Der Bundestrainer ist nun gefordert. Er muss einen
kleinen Umbruch moderieren und gestalten, wie er es zu Beginn seiner
Amtszeit getan hat, als er alten Leitwölfen wie Michael Ballack und
Thorsten Frings den Laufpass gab. Doch bringt Joachim Löw nach bald
zehn Jahren dafür noch die Kraft auf? Ja: Will er sie denn überhaupt
noch aufbringen? Der Auftritt des 56-Jährigen nach dem Halbfinale war
alles andere als souverän, ansonsten ja seine Paradedisziplin. Dem
Sieger derart das Recht auf den Finaleinzug im eigenen Land
abzusprechen, schickt sich einfach nicht. Es war nicht Löws EM. Das
weltweit verheerende Echo auf seine Hosengriff-Affäre sowie die
ständige Nörgelei der Altstars und TV-Gurus scheinen ihn mürbe zu
machen. Der Badener mag sich aktuell die Frage stellen: Warum tue ich
mir das als Weltmeister-Coach eigentlich noch an? Gut möglich, dass
die bevorstehenden Umwälzungen auch die Zukunft des Bundestrainers
betreffen. Löw wird das Turnier analysieren und mit einigem Abstand
entscheiden, ob es für ihn weitergeht. In seine Abwägung wird er
einfließen lassen, dass in seiner Mannschaft immer noch das Potenzial
für den einen großen Wurf steckt. Neuer, Özil, Müller & Co. sind im
besten Fußballeralter. Schafft es Joachim Löw, in ihnen wieder die
Gier auf maximalen Erfolg zu wecken, sind die Perspektiven für die WM
2018 in Russland und eventuell sogar noch für die paneuropäische EM
2020 intakt. Den Stab über diese Mannschaft zu brechen, wäre
verfehlt. Ihr fehlte nur diesmal in Frankreich die Kraft für den
entscheidenden Schritt. Das letzte Hurra der Generation Löw ist
womöglich lediglich vertagt. Was danach kommt, gibt freilich jetzt
schon Anlass zur Sorge.
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