(ots) - Ob sie sich als eine neue Margaret Thatcher,
als eine "Eiserne Lady" sähe, wurde Theresa May gefragt, als sie sich
Anfang Juli als Kandidatin für den Posten des Parteivorsitzes
vorstellte. "Ich bin meine eigene Frau", protestierte die 59-Jährige.
"Ich bin Theresa May und ich denke, dass ich die beste Person bin, um
Premierministerin dieses Landes zu werden." Sie will sich nicht in
Schubladen einordnen lassen. Auch den Vergleich mit Angela Merkel mag
die kinderlose Pfarrerstochter nicht gerne hören. Aber es gibt schon
eine ganze Reihe von Charakteristiken, die May mit Thatcher oder auch
Merkel verbinden würde: Kompetenz, Verhandlungsgeschick,
Nüchternheit, Nervenstärke, Detailwissen und nicht zuletzt: ein
stählerner Machtwille gepaart mit einem unbedingten Glauben an sich
selbst. Sie wird ihn brauchen, denn es liegt eine Menge Arbeit vor
ihr. : Die erste Aufgabe wird sein, ihr neues Kabinett
zusammenzustellen. Es wird erwartet, dass der Außenminister Philip
Hammond und der Schatzkanzler George Osborne in einer Rochade ihre
Posten tauschen werden. Boris Johnson, der große Verlierer des
Brexit-Machtkampfs, darf sich wenig Hoffnung auf einen Posten machen,
und auch Michael Gove dürfte seinen Job als Justizminister verlieren.
Eine der wichtigsten Ernennungen betrifft ein neu geschaffenes
Ressort: das Ministerium für die Brexit-Verhandlungen, das May
versprochen hat, mit einem Brexit-Befürworter zu besetzen. Für den
Posten würde sich der ehemalige Justizminister Chris Grayling
anbieten. Der neue Brexit-Minister wird sich einem Problem
gegenübersehen, das der Quadratur des Kreises gleichkommt: Mays
Vorgabe, einen möglichst günstigen Zugang zum EU-Binnenmarkt zu
erzielen, mit ihrer anderen Vorgabe zu versöhnen: nämlich wieder
Kontrolle über die Einwanderung zu erreichen. Die EU-Gesprächspartner
werden über eine Einschränkung der Personenfreizügigkeit kaum mit
sich verhandeln lassen wollen. Immerhin ein günstiges Zeichen gibt es
bereits nach dem Chaos der letzten Wochen: Die Märkte reagieren
positiv auf die neue Premierministerin. Das Pfund hat seinen Absturz
gestoppt, die Aktien des FTSE 250 Index erholten sich. Denn Theresa
May, so erhofft man allerseits, bedeutet erst einmal Stabilität.
Alles neu macht die May? Das wird von ihr nicht erwartet. Da mag man
richtig liegen, besonders im Vergleich zu den letzten drei Wochen,
als ein politisches Erdbeben nach dem anderen das Königreich
erschütterte. May steht einerseits sicherlich für Kontinuität, war
sie doch im Referendumswahlkampf eine Vertreterin des "Remain"-Lagers
und hat versprochen, Camerons Kurs der Sozialreformen weiterzuführen.
Doch die neue Premierministerin hat auch signalisiert, dass
gravierende Veränderungen bevorstehen. Sie strebe ein Großbritannien
an, "das für jeden funktioniert und nicht nur für die wenigen
Privilegierten", sagte sie in einer Grundsatzrede. Sie will das
Gehalt der Bosse beschneiden, Aktionären ein bindendes Votum über
Managergehälter geben und mehr Arbeitnehmerrechte einführen: Sitze
für Arbeitervertreter in Unternehmensvorständen nach deutschem
Vorbild. May signalisierte "tiefe ökonomische Reformen", man muss
abwarten, wie das im einzelnen aussehen soll. Für eine Politikerin,
die seit Amtsantritt der Konservativen vor sechs Jahren
ununterbrochen im Kabinett sitzt, weiß man wenig über Theresa May.
Sie sei, gab sie zu, keine gute Small-Talkerin und sitze lieber über
Akten, als in Pub-Besuchen politische Kontakte zu pflegen und
Seilschaften zu organisieren. Den Spitznamen "Eiskönigin" trägt sie,
weil sie sich im dienstlichen Umgang betont unnahbar gibt. Im
Privatleben jedoch, berichten ihre Vertrauten, sei sie aufgeschlossen
und warmherzig. May hat seit 2013 mit einer Erkrankung an Diabetes zu
kämpfen, und das mag erklären, dass sie sich in erster Linie auf die
Dinge konzentrieren will, die es zu erledigen gilt.Die Frau, die
schon im Alter von zwölf Jahren der Konservativen Partei beitrat, ist
auch politisch nicht so einfach zuzuordnen. Sie vertritt stramm
rechte Positionen bei klassischen konservativen Politikfeldern wie
Verteidigung, Einwanderung oder Recht und Ordnung. Sie hat sich aber
auch als sozial liberal geoutet, als sie vehement für die Einführung
der gleichgeschlechtlichen Ehe stritt. Und sie war diejenige, die bei
den Konservativen das Projekt begann, die Partei zu modernisieren und
in die Mitte der Gesellschaft zu holen. "Wisst ihr", sprach sie 2002
als Generalsekretärin zu den Delegierten des Konservativen
Parteitags, "wie die Leute uns nennen? Die fiese Partei." Das hat
sich mittlerweile geändert. Aus den einstmals homophoben,
sozialdarwinistischen und mit strammst rechten Positionen
liebäugelnden Konservativen ist eine Volkspartei geworden, die einen
"mitfühlenden Konservatismus" propagiert. May hatte diese Entwicklung
angeschoben, David Cameron, der 2006 Parteivorsitzender wurde, hat
sie weiter vorangetrieben, und man darf sich sicher sein, dass die
neue Premierministerin das Projekt einer sozial liberalen Ausrichtung
weiter verfolgen wird. Indem sie die Konservative Partei weiter in
die Mitte und teilweise sogar auf sozialdemokratisches Terrain rückt,
verfolgt sie auch eine klare Machtstrategie: Sie will damit der
Labour-Partei das Wasser abgraben.Was ihr jetzt, wo sich die
Labour-Partei gerade selbst zerfleischt, leichter denn je fallen
sollte. Theresa May hat in den letzten Tagen viel darüber gesprochen,
die Partei vereinen zu wollen und auch das Land, das zu fast gleichen
Teilen in Brexit-Befürworter und EU-Freunde zerfallen ist, wieder mit
sich auszusöhnen. Bei der Konservativen Partei wird ihr dies am
ehesten gelingen, denn die Tory-Abgeordneten respektieren klare
Machtverhältnisse und werden der neuen Chefin gehorchen. Eine harsche
Facette ihres Charakters offenbarte May, als sie auf die Situation
der rund drei Millionen in Großbritannien lebenden EU-Bürger
angesprochen wurde. Ob die nach dem Brexit bleiben dürften, wurde sie
gefragt. May zuckte mit den Schultern und sagte, dass sie nichts
versprechen könne. Deren Schicksal, so gab May zu verstehen, sei
Verhandlungsmasse, immerhin müsse ja auch geklärt werden, ob die rund
zwei Millionen Briten, die in EU-Ländern leben, ihr Bleiberecht
behalten dürfen. Das hat zu scharfen Vorwürfen geführt. Das Land war
angesichts dieser Hartherzigkeit erst einmal entsetzt. Die "Times"
donnerte in einem Leitartikel: "Menschen als Druckmittel zu benutzen
ist gewissenlos." Die Aussöhnung im eigenen Land dürfte für Theresa
May deutlich schwieriger werden als die ihrer Partei.
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