(ots) - Genau auf diese Schlagzeile wird es ihr
angekommen sein: "May bringt die Brexiteers herein" jubelte die
Titelseite des "Daily Telegraph" am Donnerstag. Die euroskeptische
Presse feiert die Kabinettsumbildung der neuen Premierministerin
Theresa May als einen klaren Schritt in Richtung harter Brexit.
Immerhin hatte May noch in der Nacht zum Donnerstag überraschend drei
zentrale Brexit-Befürworter zu Kabinettsmitgliedern gemacht: Liam Fox
wird Minister des neu geschaffenen Ressorts für internationalen
Handel. David Davis soll künftig als "Brexit-Minister" das
Klein-Klein der Verhandlungen mit der Europäischen Union überwachen.
Und der große Paukenschlag der Regierungsbildung: Boris Johnson wird
Außenminister. Der Kontinent reibt sich die Augen. Was? Boris Johnson
soll jetzt der höchste Repräsentant Großbritanniens auf der Weltbühne
werden? Ausgerechnet der Mann, der nach den Worten von seinem
künftigen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier zuerst die Briten in
den Brexit gelockt hat, sich dann aus der Verantwortung stahl und
lieber Cricket spielen ging? Ausgerechnet der Mann, der ein ums
andere Mal mit unpassenden bis beleidigenden Äußerungen in ein
Fettnäpfchen nach dem anderen trat? Ausgerechnet der Mann, der als
Polit-Clown gilt und noch nie ein Ministeramt bekleidete, soll jetzt
als seriöser Staatsmann bei den Brexit-Verhandlungen ernst genommen
werden? Die Personalie wird verständlicher, wenn man sich Johnson
etwas näher anschaut. Der 52-Jährige - Markenzeichen: weißblonder,
verwuschelter Haarschopf und zerknitterte Anzüge - verfügt über ein
politisches Kapital wie niemand sonst im Land, denn er mag vieles
sein, aber eines ganz besonders: Er ist populär. Jedermann kennt ihn
beim Vornamen. Die meisten Briten mögen ihn, auch wenn sie in der
Sache mit ihm nicht übereinstimmen würden. Sein Biograf Andrew
Grimson urteilte über ihn: "Johnson hat eine Begabung, die man in der
Politik kaum je antrifft: Er macht den Menschen bessere Laune. Selbst
die Leute, die ihn nicht gewählt haben, fangen an zu lächeln." Indem
ihn Theresa May auf einem Spitzenposten im Kabinett installiert,
profitiert sie selbst von Johnsons Popularität, umso mehr als sie
sich selbst damit als Versöhnerin präsentieren kann. Außerdem ist
Johnson nicht ganz ohne Regierungserfahrung, denn er hat zwei
Amtszeiten als Londoner Bürgermeister hinter sich. Mit dem größten
persönlichen Mandat des Königreichs im Rücken - zuletzt wählten ihn 1
054 811 Bürger ins Amt - leitete er acht Jahre lang die Geschicke der
Millionenmetropole. Eine Episode, die sich 2012 während der
Olympischen Spiele in London ereignete, illustriert das
Boris-Phänomen ziemlich gut: Johnson wollte eine 320 Meter lange
Seilbrücke im Victoria-Park einweihen. Setzte sich einen etwas
lächerlich aussehenden blauen Schutzhelm auf, hängte sich mit
Karabinerhaken an den Stahldraht und rutschte los. Blieb auf dem
letzten Drittel hängen und baumelte in sechs Metern Höhe am Seil. Man
sollte meinen, jetzt wäre er hilflos der Lächerlichkeit preisgegeben.
Nicht so Boris. Der Bürgermeister wedelte begeistert mit zwei
britischen Fähnchen und hielt eine launige Rede: "Alles bestens
organisiert", schrie er, "holt mir eine Leiter!" Die Leute im Park
lachten sich scheckig, aber nicht über, sondern mit ihm. Und der Rest
des Landes freute sich, dass Boris einmal wieder zur Heiterkeit der
Nation beitrug. Genau dieses Bild, wie Boris hilflos am Seil hängt,
wurde nach Johnsons Rückzug aus dem Rennen um David Camerons
Nachfolge von einer französischen Zeitung abgedruckt, um zu
illustrieren, wie lächerlich dieser Clown sei. Doch die Briten sehen
das anders.
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