(ots) - "Der Notstand als Alltag" - von Julius
Müller-Meiningen
In schwierigen Situationen, so lautet ein Gemeinplatz, seien die
Italiener zu besonderen Leistungen in der Lage. Auch nach dem
verheerenden Erdbeben in Mittelitalien ist wieder vom besonderen
Zusammenhalt des Landes in einer Krise die Rede. Tatsächlich sind
Aufopferung und Hilfsbereitschaft der Retter eindrucksvoll. Das
romantisierende Lob der Stärke in der Krise lenkt aber auch von einem
vorherigen Versagen ab. Italien wird regelmäßig von Erdbeben
heimgesucht, bereitet sich aber nur ungenügend auf diese Ereignisse
vor. Die Nation lässt sich hingegen jedesmal aufs Neue überrumpeln.
Die Liste der jüngsten Erdbeben, bei denen Menschen zu schaden kamen,
ist lang. Sieht man einmal von den bislang 247 Opfern bei der
gegenwärtigen Katastrophe in Latium und den Marken ab, sind da die 27
Toten in der Emilia-Romagna 2012. Drei Jahre vorher starben über 300
Menschen in den Abruzzen. Zuvor gab es viele Tote in Molise, in
Umbrien, in Kampanien, im Friaul und auf Sizilien. Italien ist an
Erdbeben gewöhnt, durchschnittlich alle fünf Jahre gibt es schwere
Erdstöße, die von der geologischen Lage Italiens abhängig sind. Diese
Katastrophen-Routine hat bisher nicht dazu geführt, dass man
versucht, die verheerenden Effekte eines Erdbebens im Vorhinein
abzufedern. Möglichkeiten gibt es genug. Sie reichen von Kursen zur
Erdbebenprävention bis hin zu Sicherung gefährdeter Gebäude. Beides
gibt es in Italien viel zu wenig. Die verheerende Wirkung der
Erdbeben in Italien hat gewiss auch mit der alten Bausubstanz der von
Touristen bewunderten mittelalterlichen Altstädte zu tun. Die
Schönheit Italiens ist daher auch seine Achillesferse. Doch
insbesondere die italienische Politik hat es versäumt, nach
jahrzehntelangen Erfahrungen von Leid und Zerstörung die Weichen zu
stellen. Insofern wirken Bestürzung und Ratlosigkeit nach den
Erdbeben wie die Quintessenz eines Versagens auch in anderen
Bereichen, etwa in Politik oder Wirtschaft. Italien, so heißt es,
findet oft erst in der Not zu sich. Langfristige und weitsichtigere
Planung würden dieses Aufbäumen erst gar nicht nötig machen.
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