(ots) - Am 15. Jahrestag der Anschläge auf New York und
Washington gilt es, zwei Entwicklungen nüchtern festzuhalten. Niemand
mit ungetrübter Sinneswahrnehmung kann ernsthaft behaupten, ein Sieg
über den islamistischen Extremismus sei in greifbarer Nähe. Im
Gegenteil gehört die Auseinandersetzung mit dem Terror heute zur
Lebenswirklichkeit unserer westlichen Gesellschaften. Beides erlaubt
nicht, zur Tagesordnung überzugehen. Die Sensibilität dafür scheint
zurzeit in Europa akuter zu sein als in den USA. Kaum anders lässt
sich erklären, warum der 15. Jahrestag der Anschläge vom 11.
September den alten Kontinent so viel mehr beschäftigt als die
amerikanische Öffentlichkeit. Um kein Missverständnis aufkommen zu
lassen: Wie jedes Jahr wird auch diesmal wieder der mehr als 3000
Toten der Anschläge auf die Symbole der amerikanischen Macht gedacht
werden. Inklusive einer Ansprache des US-Präsidenten Obama im
Pentagon, einer Zeremonie an Ground Zero und in Shanksville,
Pennsylvania, wo der United-Flug mit der Nummer 93 nach einem
Aufstand an Bord in einem Acker endete. Aber der 15. Jahrestag wird
kaum anders begangen als der vierzehnte oder der dreizehnte. Das
Erinnern an den Terror vom 11. September ist in den USA eine
Generation später so sehr Routine geworden, wie die massiven
Sicherheitsvorkehrungen Teil des Alltags sind. Die junge Generation
von Amerikanern kann sich an keine andere Realität erinnern als an
ein Leben mit der terroristischen Gefahr. In Europa haben die
Anschläge von Paris und Brüssel das Bewusstsein für den Ernst der
Lage deutlich geschärft. Vom 11. September geht eine düsterere
Faszination aus, die gleichzeitig die besonderen Befindlichkeiten von
Gesellschaften reflektieren, die sich plötzlich ganz direkt
herausgefordert fühlen. Verbunden mit dem zuweilen als bedrohlich
empfundenen Zustrom an Kriegsflüchtlingen aus Syrien ging auch in
Europa das Gefühl der Leichtigkeit verloren, das die USA schon vor
fünfzehn Jahren verlassen hat. Sowohl für Europa als auch für die USA
bleibt die gemeinsame Herausforderung, dem Terrorismus das Wasser
abzugraben und die Gefahr zu bannen, Osama bin Laden einen posthumen
Sieg zu bereiten. Die Erben des Terrorfürsten der El-Kaida und deren
Verwandte der Taliban, Boko Harams, Al-Shababs und des Islamischen
Staats wünschten sich nichts mehr als einen Krieg der Zivilisationen.
Die blondierten Rechtspopulisten vom Amerikaner Donald Trump über die
Französin Marine Le Pen bis zum Niederländer Geert Wilders machen
sich mit ihren pauschalen Verunglimpfungen einer Religion zu
Erfüllungsgehilfen islamistischer Fieberträume. Tatsächlich kann der
Terror nur mit Hilfe gut integrierter Muslime in den westlichen
Staaten und dem Aufbau von Zivilgesellschaften in der Region
überwunden werden. Der Einsatz militärischer Gewalt ist nötig, die
Symptome zu bekämpfen. Kurieren lässt sich dieses Krebsleiden dadurch
aber nicht. Fünfzehn Jahre nach dem 11. September bleibt die
Erkenntnis, dass eine Generation nicht ausreichte, die vielfältigen
Quellen, aus denen sich der islamistische Terror speist,
trockenzulegen. Ohne wirtschaftliche Chancen, religiöse Toleranz,
soziale Gerechtigkeit, ethnische Vielfalt und politische Teilhabe
wird das nicht gelingen. Diese Herausforderung verlangt Geduld,
Vernunft und Ausdauer - ein Prozess, der nicht nur Jahre, sondern
Jahrzehnte braucht. Und ein gutes Vorbild in den westlichen
Gesellschaften.
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