(ots) - Europäer, vor allem Deutsche, unterliegen einem
Fehler, wenn sie an die Vereinigten Staaten denken. Die meisten
sprechen oder verstehen Englisch, viele technische, kulturelle und
gesellschaftliche Entwicklungen jenseits des Atlantiks sind uns
vertraut, weil wir sie zeitgleich oder mit Verzögerung erleben. Und
die Amerikaner sind doch eigentlich einmal Europäer gewesen.
Deswegen, so der Denkfehler, müsste man sich doch eigentlich gut
verstehen und deswegen muss man das, was in den Staaten vor sich
geht, mit europäischen Standards vergleichen und messen können. Wie
gesagt: Das ist ein Denkfehler. Wie groß dieser Fehler ist, zeigt
sich nicht erst seit der Wahl von Donald Trump. Der scheidende
US-Präsident Barack Obama ist ein Beispiel dafür, wie verzerrt unsere
Wahrnehmung der USA ist - und wie sehr das Land immer schon eine
Projektionsfläche unserer Wünsche und unserer Ängste ist. Obamas Wahl
war eine Sensation, aber auch ein Problem für die konservativen
Amerikaner. Hierzulande insbesondere wurde dieser Aspekt
ausgeblendet. Obama war, nach den Jahren unter George W. Bush, eine
Erlöserfigur, einer, der nicht Krieg und Weltmachtstellung
propagierte, sondern Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit -
gemeinhin also das, was wir aus unserer Warte für die richtigen, die
selbstverständlichen Werte halten. Die Begeisterung für Obama war im
eigenen Land schneller verflogen als bei uns. Seine Politik galt den
konservativen, den neoliberalen Wählern als Teufelszeug, als Aufgabe
uramerikanischer Werte wie Selbstverantwortung, Selbstbestimmtheit
und einer puritanischen Ethik, in der Erfolg eine Eigenleistung
darstellt, die den Erfolgreichen zudem als von Gott selbst
Auserwählten auszeichnete. Aber selbst bei uns begann der Mythos
Obama zu bröckeln, als klar wurde, dass auch einer wie er das
Folterlager Guantánamo nicht schließen wird, dass der Abzug der
US-Truppen aus dem Irak keinen Frieden bringt, und dass der
Giftgaseinsatz gegen Zivilisten im Syrienkrieg keine Konsequenzen
hatte, obwohl Obama von einer roten Linie gesprochen hatte, die
überschritten worden sei. Dafür kämpft heute Russland aufseiten des
Diktators Assad gegen die Aufständischen, und nicht gegen den
Islamischen Staat und nicht für die Demokratie. Und es war unter
Obama, dass die NSA Daten der Deutschen und ihrer Kanzlerin
sammelten. Es war unter Obama, dass Edward Snowden sein Asyl in
Russland antreten musste, weil die USA ihn als Verräter jagen. Und es
waren dieselben Deutschen, die den Heilsbringer Obama dafür an den
Pranger stellen wollten. Das alles zeigt letztlich, dass wir die USA
gerne so hätten, wie es uns gefällt. Aber das interessiert die
Amerikaner nicht. Genau genommen interessieren sich die meisten
Amerikaner gar nicht, was um sie in der Welt passiert. Die Wahl
Trumps zeigt zudem Schlimmeres: dass Teile der USA voneinander nichts
wissen. Das Verhältnis von Land und Stadt dort hat kaum etwas mit
einem deutschen Stadt-Land-Gefälle zu tun, wenn die Fahrt mit dem
Auto im Mittleren Westen zur nächsten Stadt mehrere Stunden bedeutet
und Muslime im ländlichen Amerika nur aus dem Fernsehen bekannt sind
- als Terroristen. Oder der Ostküsten-Intellektuelle keine Ahnung
davon hat, was es heißt, seine Farm mit der vierten Hypothek zu
belasten, damit die Familie über die Runden kommt. Obamas Amerika war
mit Abstrichen das unserer Wünsche. Und nun wird es ein Amerika
geben, das wir nicht in Ansätzen verstehen werden und das auch viele
Amerikaner nicht haben wollten. Nein, ihnen wurde nicht der Sieg
Clintons geraubt. Ihr Wahlrecht hat das getan. Wenn also die
US-Bürger über den Ausgang dieser Wahl entsetzt sind, dann liegt es
nun an ihnen. Dann sollten sie sich über ihren politischen Betrieb
Gedanken machen. Ãœber eine Verfassung, in der ein Wahlrecht aus den
Gründerjahren weiterlebt. Und über ein Land, das nun erlebt, dass der
Hass, den Trumps Rhetorik gesät hat, aufzugehen droht. Es liegt an
ihnen, ihre Kinder zu lehren, dass Gleichberechtigung von
Homosexuellen ein verfassungsmäßiges Gut ist. Dass
Gesundheitsversicherung keine Bedrohung ist. Dass Hautfarbe und
Herkunft keine Aussage über Kriminalität zulassen und der Islam nicht
gleichbedeutend mit einer Terrorideologie ist. Es liegt an den
Amerikanern, dies zu tun. Wir können nur hoffen, dass der fremde
Freund USA uns nicht noch fremder wird.
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