(ots) - Nicht nur Donald Trump und Pegida-Anhänger fühlen
sich von den Medien belogen und betrogen. Dennoch sind
Medienverschwörungstheorien kein neues Phänomen, sondern begleiten
Massenmedien seit ihren Anfängen im 18. Jahrhundert, wie
Medienwissenschaftler Dr. John Seidler betont: Alle
Verschwörungstheoretiker beschäftigten sich obsessiv mit den Medien,
von deren vermeintlichen Lügen sie sich die Bestätigung der
angenommenen geheimen Wahrheit, also ihres eigenen Weltbildes,
erhoffen.
Herr Dr. Seidler, sind Sie nun auch schon Teil der
Medienverschwörung, weil Sie einem klassischen Mainstream-Medium ein
Interview geben?
Dr. John Seidler: (Lacht) Bisher ist es mir noch nicht vorgeworfen
worden. Aber nach der reinen Verschwörungstheorie-Lehre müsste es
tatsächlich so sein, dass ich nun zum Reich des Bösen gehöre.
Wie viele Menschen glauben an eine Verschwörung der Medien gegen
das Volk?
Dr. Seidler: Nach Umfragen haben 20 bis 40 Prozent der Bürger kein
Vertrauen in die Medien. Das entspricht ungefähr der Größenordnung
derjenigen mit antidemokratischen und autoritären Einstellungen.
Betrachtet man Pegida-Aufmärsche, Front-National- oder
Tea-Party-Veranstaltungen scheint es, als ob immer mehr Menschen an
Verschwörungstheorien glauben. Stimmt das? Dr. Seidler: Zumindest
sind sie lauter. Es sind nicht unbedingt mehr Anhänger, aber mehr,
die sich aktiv beteiligen, so dass sie es zu einer sozialen Bewegung
machen. Der Front National hat schon vor Jahrzehnten die Franzosen
mit einer Medienverschwörungshypothese bearbeitet. Dass dieser Weg
nun auch bei uns durch die AfD beschritten wird, ist neu.
War Medienkritik schon immer chic?
Dr. Seidler: Medienkritik ist generell chic, weil sie erstmal
kritische Attitüde und intellektuelle Überlegenheit signalisiert.
Medienkritiker haben schon immer leicht Schulterklopfer geerntet. An
Medienkritik selbst ist ja auch nichts Schlechtes. Sie darf nur nicht
in Populismus abgleiten, der dann einen haltlosen Wahrheits- und
Alleinvertretungsanspruch eines betrogenen Volkes gegenüber einem
angeblich arglistig manipulativen Medienmonopol im Auftrag geheimer
Eliten behauptet. Medienkritik ist eben auch ein lange unterschätzter
Faktor für politische Bewegungen. Die historischen Proteste gegen die
"Judenpresse", wie auch gegen die Springer-Presse in den 70er-Jahren
waren keineswegs nur irgendwelche diffusen Symptome von Protest,
sondern ganz zentrale Phänomene zur Mobilisierung von Bewegungen.
Diese Schlagworte und damit verbundenen Prämissen dienten, ähnlich
wie heute die "Lügenpresse", der Schaffung kollektiver Feindbilder
und Identitäten. Weil derartige Medienkritik immer auch eine radikal
andere "Wahrheit" behauptet, funktioniert sie insbesondere als
Mechanismus zur Rekrutierung und Mobilisierung von radikaleren
Bewegungen.
Wann entstanden die ersten modernen Verschwörungstheorien und was
machte sie so attraktiv?
Dr. Seidler: Die moderne Verschwörungstheorie entstand im 18.
Jahrhundert und verfestigte sich in ihrer Form insbesondere im
zeitlichen Kontext der Französischen Revolution. Der Wandel durch die
Aufklärung und das Zerschlagen der alten Ordnung erklärten sich die
konservativen Kreise, indem sie das damalige Aufkommen der ersten
Massenmedien - Journale, Pamphlete und Bücher - als Teil einer
Verschwörung von Freimaurern und Illuminaten zur Aufwiegelung des
Volkes gegen die gottgewollte Ordnung deuteten. Ziel der
Medienverschwörer sei die Abschaffung von Christentum und Monarchie.
Haben die Nationalsozialisten den Begriff "Lügenpresse" erfunden oder
nur benutzt?
Dr. Seidler: Sie haben ihn lediglich benutzt. Die Ursprünge gehen
auf die bürgerliche Revolution von 1848/49 zurück, die zwar in Gänze
in die Restauration mündete, aber immerhin die Pressefreiheit
brachte. Um die nun nicht mehr zum Schweigen zu bringende, liberale
Presse zu diskreditieren, sprachen Ultrakonservative von der
"jüdischen Lügenpresse". Damals war der Begriff aber nie so populär
wie heute. Letztendlich ist das Wort "Lügenpresse" aber nur eine
Chiffre, kann ersetzt werden durch "Systemmedien" oder "Mainstream".
Gemeint ist der Glaube, es gäbe eine auf Linie gebrachte, von oben
gleichgeschaltete Presse, die die einfachen Bürger manipulieren
solle. Tatsächlich gebe es eine ganz andere Wirklichkeit als die, die
uns vorgegaukelt wird. Wir lebten nur in einer Matrix, einer
Scheinwelt.
Welche Rolle spielt das Internet als gegenüber den "Holzmedien"
vermeintlich glaubwürdigeres Medium und als Verbreitungsplattform für
Verschwörungstheorien?
Dr. Seidler: Als Plattform ist das Internet selbstverständlich
wichtig, aber man darf es auch nicht überschätzen. Auch in einer Welt
ohne Internet gäbe es Verschwörungstheorien. Interessanter ist, dass
dem Internet von Anfang an die Rolle des emanzipatorischen
Befreiungsmedium zugeschrieben worden ist, dass geheimes
Herrschaftswissen zugänglich machen und so die Matrix zerschlagen
würde. Auf einer Verschwörungstheoretikerkonferenz von 2011,
organisiert vom heutigen "Compact"-Herausgeber Jürgen Elsässer, Thema
war zehn Jahre 9/11, wurde ein Redner für die Aussage bejubelt:
"Alles, was wir erreicht haben, haben wir dem Internet zu verdanken."
Mit "Wir" war in dem Moment die "Wahrheitsbewegung" gemeint, die
"9/11 Truth Movement". Hier inszenieren sich Menschen über das Medium
als Rebell, teilen mit leuchtenden Augen mit: "Ich informiere mich
nur noch über das Internet."
Wie sollen Medien mit Bürgern umgehen, die in Leserbriefspalten
oder Blogs nicht vom Vorwurf abrücken, dass sie nur eine
Scheinwirklichkeit erzeugten?
Dr. Seidler: Bei Hardcore-Verschwörungstheoretikern ist das
Weltbild derart geschlossen, dass gerade Medienvertreter keine Chance
haben, in einer Diskussion Gehör zu finden, da sie nur als nützliche
Idioten gelten. Dennoch ist es wichtig, nicht sofort Gegenpolemiken
zu starten, sondern zu versuchen, die Kritiker so weit wie möglich
ernst zu nehmen. Letztendlich ist es eine gesamtgesellschaftliche
Aufgabe, mit der Wut und der Ablehnung dieser Menschen umzugehen.
Ist das Misstrauen gegenüber den Medien ein Nebenprodukt des
Misstrauens gegenüber Politikern und Wissenschaftlern?
Dr. Seidler: Das klingt einleuchtend, aber so leicht ist es nicht.
Letzlich ist das Misstrauen gegenüber Medien auch nur ein
Mechanismus, der dazu dient, den Einklang mit seinem eigenen Weltbild
zu wahren. Wer beispielsweise mit einem humanistisch argumentierenden
Kommentar zur Flüchtlingssituation konfrontiert wird, kann entweder
erwägen, seine feindselige Haltung gegenüber Fremden zu überdenken
oder das alles als Lug und Trug eines Systems von sich zu weisen, das
den großen Bevölkerungsaustausch plant, um den weißen Mann untergehen
zu lassen. Das ist also eine unfassbar bequeme Art, das eigene
Weltbild aufrechtzuerhalten, also eigentlich kein Misstrauen, sondern
eine vorgeschobene Ablehnung.
Liegt dem ein sozialer Konflikt zugrunde: der Aufstand der
Globalisierungsverlierer gegen die vermeintlichen Gewinner?
Dr. Seidler: Zwar sind Menschen empfänglicher für
Verschwörungstheorien, die sich in einer Bedrohungslage empfinden.
Aber das ist nicht zwangsläufig der ehemalige Fließbandarbeiter,
dessen Job nun in China steht. Das sind auch Bankiers und
Professoren. Der gemeinsame Nenner ist bei vielen Xenophobie und
Nationalismus, der sich über eine äußere Bedrohung definiert.
Stichwort Fremdenhass: War die "Willkommenskultur" bei der ersten
Flüchtlingswelle im Sommer 2015 ein Turbo für die Abkehr von der
Presse?
Dr. Seidler: Ja, das war sie mit Sicherheit. Allerdings gibt es
eine Kluft zwischen dem Empfinden einer vermeintlich
gleichgeschalteten Presselandschaft mit rosaroter Brille und einem
real existierenden Pluralismus in den Medien.
Vertiefen soziale Medien wie Facebook die Hörigkeit gegenüber
Verschwörungstheorien, weil sich viele Bürger nur in Echoräumen
Gleichgesinnter und damit weg von der Realität bewegen?
Dr. Seidler: Der Begriff Hörigkeit passt perfekt, weil
Medienhörigkeit bei keinem Menschen größer ist als beim überzeugten
Verschwörungstheoretiker - und das, obwohl sie sich gerade von den
Medien distanzieren wollen. Die Echoräume unterscheiden heutige
Medienverschwörungstheorien von früheren. Während man früher schnell
in die Spinnerecke geschoben wurde, findet man heute in den
entsprechenden Foren schnell Anerkennung und hochschaukelndes
Sich-gegenseitig-Bestätigen.
Gibt es verbindende Elemente aller Verschwörungstheorien?
Dr. Seidler: Die Ablehnung der Medien. Antisemitismus gehört nicht
zwingend zu jeder Verschwörungstheorie, prägt aber die Mehrheit. So
dumm und platt die Geschichten von den Weisen von Zion auch sind, so
populär und universell sind sie auch, so dass jeder dort andocken
kann.
Was passiert, wenn Verschwörungstheoretiker an die Macht kommen?
Nehmen wir das Beispiel Donald Trump, der von einer Verschwörung der
Medien gegen sich ausgeht.
Dr. Seidler: Sehr gute Frage, aber Sie werden mich nicht dazu
verleiten, Prognosen abzugeben. Was man sagen kann: Erst in dem
Moment, in dem Verschwörungstheoretiker an die Macht kommen, taugt
ihre Theorie zur Erklärung der Welt, weil sie sofort beginnen, die
Welt nach ihrem Weltbild umzugestalten. In den 30er-Jahren schrieb
der jüdische Journalist Alexander Stein das Buch: "Adolf Hitler,
Schüler der "Weisen von Zion". Darin weist er nach, dass die
erfundene Organisation der "Weisen von Zion" ein Modell war, dem die
Nazis nacheiferten. Grundsätze und Techniken, die die
Nationalsozialisten dem Hirngespinst der jüdischen Weltverschwörung
unterstellten - Gewalt vor Recht zu stellen, Brot und Spiele,
Spitzelwesen bis hin zur Presseknebelung - setzten sie selbst um.
Trump selbst hat sich ja oft sehr vage geäußert, so dass nicht klar
ist, ob er wirklich an Verschwörungstheorien glaubt. Anders ist das
bei den Bewegungen, die ihn getragen haben. Der Lackmustest wird
sein, wie es mit der Pressefreiheit in den USA weitergeht. Alle
Verschwörungstheoretiker beklagen, dass die Eliten die Medien
manipulieren und kontrollieren würden. Was machen sie, wenn sie an
der Macht sind? Sie manipulieren und kontrollieren die Medien.
Das Interview führte
Joachim Zießler
Pressekontakt:
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Werner Kolbe
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