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Landeszeitung Lüneburg: Anfangseuphorie reicht nicht aus - Politikwissenschaftler Prof. Dr. Oskar Niedermayer: Schulz und seine SPD müssen sich besser positionieren

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(ots) - Die SPD erlebt mit dem "Neuen" Martin Schulz
einen Aufschwung in den Umfragen. Ob diese Anfangseuphorie um den
Kanzlerkandidaten bis zu Bundestagswahl trägt, ist "überhaupt nicht
absehbar", betont Prof. Dr. Oskar Niedermayer im Gespräch mit unserer
Zeitung. Die SPD benötige ein Wahlkampfthema mit
Alleinstellungsmerkmal, da bisherige Themen keinen Umschwung
brachten, sagt der Politikwissenschaftler.

Die SPD legt in Umfragen deutlich zu. Hat Sigmar Gabriel mit
seinem Verzicht zu Gunsten von Martin Schulz also alles richtig
gemacht?

Prof. Dr. Oskar Niedermayer: Ja, das denke ich schon. Er wusste um
seine schlechten Umfragewerte in der Bevölkerung. Und er wusste, dass
in seiner Partei bei weitem nicht jeder hinter ihm steht. Deshalb war
der Verzicht sinnvoll.

Ist es für Schulz eher ein Vorteil oder ein Nachteil, dass er
weder Kabinettsmitglied noch Bundestagsabgeordneter ist?

Niedermayer: Beides. Einerseits ist es so, dass die
Nichtverwurzelung in der nationalen Politik eher ein Nachteil ist,
weil er sich jetzt in kurzer Zeit in alle Facetten der Innenpolitik
einarbeiten muss. Andererseits ist es ein Vorteil, weil er freier im
Wahlkampf agieren kann, denn er ist nicht wie Gabriel weiter in die
Kabinettsdisziplin eingebunden und kann so zum Beispiel auch Frau
Merkel lockerer angreifen.

Spiegeln die Umfragewerte auch die Sehnsucht der Bürger nach
Politikern mit mehr Volksnähe wider?

Niedermayer: Ich bin bei der Beurteilung der jüngsten Umfragewerte
sehr vorsichtig. Das ist ein Impuls der Bürger auf den riesigen
Medienhype, der um Schulz gemacht wurde in den vergangenen Tagen. Und
es ist das Gefühl, dass es mit Schulz im Vergleich zu Gabriel nur
besser werden kann. Die Frage ist aber, ob diese Anfangseuphorie, die
auch in der Partei selbst zu spüren ist, den gesamten Wahlkampf lang




trägt. Das kann man jetzt noch überhaupt nicht absehen.

Kern-Klientel der SPD sind die Arbeiter. Seit der Agenda 2010 sind
aber viele Arbeiter zur Linkspartei abgewandert. Und bei den
vergangenen Wahlen hat auch die AfD viele Arbeiter gewinnen können.
Wie kann Schulz diese Wähler zurückgewinnen?

Niedermayer: Das wird davon abhängen, wie er sich in naher Zukunft
positioniert. Es wird natürlich extrem schwer werden, gleichzeitig
alle Wählergruppen zurückzugewinnen, die die SPD in der Vergangenheit
an die verschiedensten Parteien verloren hat. Denn diese
Wählergruppen haben natürlich unterschiedliche Interessen.

Steckt die SPD insofern in der Klemme?

Niedermayer: Ja. Das zeigt auch die Tatsache, dass seit der
Bundestagswahl 2013 bis hin zum Herbst 2015, als die Flüchtlingskrise
begann, die Umfragewerte der SPD wie fest gemauert waren - und die
SPD seither auch nicht von der Schwäche der Union in der
Flüchtlingskrise profitieren konnte. Dass die Werte jetzt kurzfristig
nach oben gegangen sind, sagt noch gar nichts. Die SPD konnte nicht
einmal davon profitieren, dass sie Wahlversprechen, die sie vor der
Bundestagswahl 2013 gemacht und später auch eingelöst hat wie den
Mindestlohn, die Rente mit 63 oder die Einführung der Frauenquote,
denn Meriten der Koalition werden eher der Partei zugewiesen, die den
Regierungschef stellt. Die SPD muss sich nun fragen, mit welchen
Themen sie im Wahlkampf tatsächlich noch punkten will. Es müsste ein
Thema sein, das einerseits im Bereich ihres Markenkerns der sozialen
Gerechtigkeit liegt, andererseits aber auch eine Art
Alleinstellungsmerkmal im Parteiensystem darstellt, damit die Leute
sagen, ich muss die SPD wählen.

Haben Sie eine Vorstellung, was das für ein Thema das sein könnte?

Niedermayer: Nein. Aber es gibt natürlich ein paar Themen, die man
immer wieder bringen kann. Man kann sagen, dass die Löhne steigen
sollen - das ist aber Sache der Tarifpartner. Man kann sagen, dass
der Mindestlohn steigen soll. Dass man eine sozial gerechte
Steuerreform haben will - wobei man beim Thema Steuern sehr
vorsichtig sein muss, das haben schon andere Parteien erleben müssen.
Man kann sagen, dass man die internationalen Konzerne stärker in die
Pflicht nehmen will. Aber das sind alles keine Themen, die die Bürger
mobilisieren. In der vergangenen eineinhalb Jahren geht es fast nur
noch um ein Thema: die Flüchtlingskrise. Und da hat die SPD fast
alles mitgetragen, was die Union gemacht hat. Sich jetzt davon
abzusetzen, dürfte nicht ganz einfach werden - auch weil es in der
SPD-Anhängerschaft sehr unterschiedliche Auffassungen darüber gibt.
Dann käme noch die Sicherheitspolitik infrage. Die ist allerdings
traditionell eine Domäne der Union. Anders ausgedrückt: Mir drängt
sich kein Thema auf, bei dem ich sagen würde, das wäre das
Gewinnerthema für die SPD.

Schulz hat angekündigt, um die Mitte kämpfen zu wollen. Das wollen
aber auch CDU, FDP und Grüne. Gibt es diese heiß umworbene überhaupt
noch und wie ist sie definiert?

Niedermayer: Die Mitte gibt es natürlich, wenn man schaut, wo sich
die Bürger ideologisch selbst einordnen, wenn sie gefragt werden: die
Mehrheit ordnet sich um dem Mittelpunkt herum ein, die Minderheit am
ganz linken oder rechten Rand. Was das für die einzelnen
Politikbereiche bedeutet, ist aber eine ganz andere Frage. So sind
zum Beispiel viele Bürger, die sich der Mitte zuordnen, nicht mit der
liberalen Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin einverstanden. Das
wird von vielen aber schon als rechte Haltung angesehen. Klar ist: Je
weiter man zu den Rändern kommt, desto schwieriger wird es für eine
Volkspartei, unterschiedliche Interessen von unterschiedlichen
Gruppen einzubinden. Das ist immer eine Gratwanderung.

Die AfD hat in jüngsten Umfragen an Zustimmung eingebüßt. Gibt es
eine Art Trump-Effekt, weil man sieht, was passiert, wenn Populisten
an der Macht sind?

Niedermayer: Ich glaube, dass das die AfD-Wähler nicht so stark
abschreckt. Eher dürfte die Aufregung um die Höcke-Rede etwas bewirkt
haben. Einige Bürger, die die AfD nicht aus Überzeugung sondern aus
Protest wählen, dürften zurückgeschreckt sein, weil die Partei in
ihren Augen zu weit nach rechts abdriftet. Es könnte auch sein, dass
einige Bürger wegen des Hypes um Schulz wieder zur SPD tendieren.
Aber das ist noch lange kein fester Wählerstamm.

Glauben Sie, dass die AfD sich trotz der vielen Skandal und des
Gezerres um Posten noch lange im zweistelligen Bereich halten kann?

Niedermayer: Ich glaube, dass die Chancen dafür relativ hoch sind.
Aber es kommt auf den Verlauf des Wahlkampfes an und darauf, was in
dieser Zeit in den Bereichen Flüchtlingspolitik und Terror noch
geschieht. So würden wieder stark steigende Flüchtlingszahlen
natürlich der AfD nutzen. Streit hat der AfD bisher nur geschadet,
wenn er richtig brutal wurde wie Mitte 2015, als der Lucke-Flügel die
Partei verlassen hat.

Wer ist denn der größere Gegner für Bundeskanzlerin Angela Merkel:
Horst Seehofer oder Martin Schulz?

Niedermayer: Eindeutig Martin Schulz. Denn Horst Seehofer hat
gerade sehr deutlich gemacht, dass er und die CSU trotz der
Differenzen in der Flüchtlingspolitik hinter Merkel stehen. Es war
schon immer so und wird auch dieses Mal so sein, dass die Union einen
gemeinsamen Wahlkampf führt. Die Frage der Obergrenze für Flüchtlinge
wird man einfach ausklammern, in dem die CSU einen eigenen
Bayern-Plan aufstellt - was nicht das erste Mal wäre - und dort zum
Beispiel die Obergrenze herein schreibt. Denn Seehofer weiß
natürlich, dass es für beide Parteien sehr schlecht wäre, wenn der
Streit noch in die heiße Phase des Wahlkampfes hineingetragen werden
würde.

Glauben Sie, dass die zunehmende Politisierung der Bürger anhalten
wird und es weiterhin hohe Wahlbeteiligungen geben wird?

Niedermayer: Es ist schwierig, von allgemeiner Politisierung zu
reden. Tatsächlich hat die AfD von der steigenden Wahlbeteiligung
weitaus am stärksten profitiert. Es gibt eine Mobilisierung von
Bürgern, denen die Richtung der Flüchtlingspolitik nicht passt. Die
sich sagen, ich bleibe aus Frust nicht länger zuhause, sondern wähle
aus Protest die AfD.

Könnte denn nicht auch der umgekehrte Fall eintreten: Bisherige
Nichtwähler sehen, dass die AfD so hohe Zustimmungswerte hat, und
gehen dieses Mal zur Wahl, um die anderen Parteien zu unterstützen?

Niedermayer: Natürlich könnte es eine Art von Gegenmobilisierung
geben, wenn sich im Laufe des Wahlkampfes abzeichnet, dass die Werte
für die AfD noch stärker steigen. Aber eine solche Mobilisierung
zeichnet sich derzeit noch nicht ab.

Das Interview führte Werner Kolbe



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Werner Kolbe
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