(ots) - Am Vorabend von Donald Trumps erster "Rede zur
Lage der Nation" tauchte George W. Bush aus der selbstgewählten
Klausur auf, um dem Amtsinhaber eine Nachhilfestunde in Sachen
Demokratie zu erteilen. Journalisten seien keine "Volksfeinde",
sondern unverzichtbar, "um Leute wie mich zur Rechenschaft zu
ziehen", erklärte Bush dem Präsidenten, der seit Amtsantritt im
Weißen Haus einen bizarren "Krieg gegen die Medien" führt. Bush
fühlte sich außerdem bemüßigt, Trump daran zu erinnern, dass
Einreisestopp und Massendeportationen im klaren Gegensatz zu den
Grundwerten der Nationen stünden. Wenn es eines klaren Symbols
bedurfte, zu illustrieren, wie wenig "normal" die ersten Wochen des
45. Präsidenten der Vereinigten Staaten verliefen, dann lieferte das
Wiederauftauchen des mit Schimpf und Schande aus dem Weißen Haus
geschiedenen Vorvorgängers ein solches. Trump hält das konservative
und liberale Amerika gleichermaßen in Atem, weil er dessen Werte mit
Füßen tritt. Von der Unterminierung der Pressefreiheit über die
Intoleranz gegenüber einer Weltreligion und die Blaupause zur
Massendeportation bis hin zu der Militarisierung der Außenpolitik
schaffte der "America-First"-Präsident vor allem eines:
Verunsicherung. Nie zuvor war die "Lage der Nation" so irritiert wie
unter dem realitätsfremden Spalter im Weißen Haus, der das Land mit
unausgegorenen Exekutivbefehlen und kurzatmigen Twitter-Nachrichten
in Dauerstress versetzt. Ohne dabei wirklich etwas vorweisen zu
können. Nach nicht einmal einem Monat im Amt musste Trumps Nationaler
Sicherheitsberater den Hut nehmen. Sein Einreisestopp für Muslime
scheiterte vor Gericht und gerade entdeckte der Präsident, wie
"komplex" die versprochene Abschaffung der Gesundheitsversicherung
Obamas wirklich ist. Auf der Weltbühne blamierte sich der großspurige
Kraftmeier nicht minder. Mexiko zahlt garantiert nicht für die Mauer,
China lässt nicht mit sich herumspringen und die USA tragen den
größten Schaden vom Ausstieg aus dem transpazifischen
Freihandelsabkommen davon. Derweil konterkarieren ihn sein
Vizepräsident und Verteidigungsminister öffentlich zur Rolle der Nato
und Russlands. Das Hauptproblem Trumps besteht darin, in einer Welt
zu leben, die es nur in seiner Fantasie gibt. Dass ihm 120 Generäle
in einem offenen Brief darlegen, warum es keinen Sinn macht, zulasten
der Diplomatie massiv aufzurüsten, illustriert wie verrückt die Idee
ist, 54 Milliarden Dollar mehr für das Pentagon zu fordern und das
Außenministerium dafür in Stücke zu hauen. Die Begründung Trumps,
dass Amerika "keine Kriege mehr gewinnt" drängt die Rückfrage auf:
Welche Kriege? Aber es gibt auch Illusionen bei seinen Gegnern. Trotz
der Massenproteste, wütenden Bürgerversammlungen und möglichen
Ermittlungen wegen Landesverrats gibt es zurzeit kein realistisches
Szenario nach dem Trump des Amtes enthoben oder nach Artikel 25 wegen
Unzurechnungsfähigkeit entfernt wird. Wer genau soll das tun und wo
finden sich Mehrheiten dafür? Nüchtern betrachtet handelt es sich um
Wunschvorstellungen, die helfen, die schwer erträgliche Realität von
vier Jahren Trump im Weißen Haus leichter zu machen. Die beste
Hoffnung für Amerika und die Welt besteht in der Selbstüberschätzung
des Narzissten, der sich für den größten Präsidenten aller Zeiten
hält. Das macht es Trump schwer, Fehler zu korrigieren. So könnte er
am Ende das Opfer seiner eigenen Inkompetenz werden. Der Tag wird
kommen, an dem auch seine Anhänger erkennen, dass der Kaiser nackt
ist. Die offene Frage bleibt, wie viel Schaden er bis dahin
angerichtet hat.
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