(ots) - Binnen 24 Stunden hat, mitten im Frühling, eine
Eiszeit zugeschlagen. Die Beziehungen zwischen den Niederlanden und
der Türkei wurden schockgefroren. Anders als die
abwiegelnd-diplomatische deutsche Kanzlerin hat Regierungschef Mark
Rutte, der mitten im Wahlkampf steckt, klare Kante gegen
Wahlkampfauftritte türkischer Minister im Land der Tulpen, Grachten
und des Multikulti gezeigt. So viel Oranje-Selbstbehauptungswillen,
so viel Entschlossenheit gegenüber dem nach Alleinherrschaft
strebenden "Boss vom Bosporus" und seinen Lautsprechern überrascht
dann doch. Ein wenig davon wünschte man den diplomatischen
Leisetretern in Berlin. Dass Recep Tayyip Erdogan allen Ernstes nicht
nur Deutschland, deutsche Politiker, Bürgermeister und Behörden mit
Nazi-Vergleichen überzieht, sondern auch unser westliches
Nachbarland, das furchtbar unter Nazi-Gräuel zu leiden hatte,
offenbart zweierlei: Erstens die Geschichtsvergessenheit des
türkischen Präsidenten. Und zweitens zeigt es sein Kalkül, mit
ebenjenen Vergleichen in Westeuropa Feindbilder aufzubauen, mit denen
noch unentschlossene Landsleute in Erdogans Lager der Hurra-Patrioten
geholt werden sollen. Noch ist der Ausgang des türkischen Referendums
am 16. April für den Möchtegern-Sultan nicht sicher. Mit dem
Draufhauen auf imaginäre Feinde in der EU, in Deutschland und nun in
den Niederlanden ähnelt Erdogan auf seltsame Weise dem Vorgehen von
Donald Trump und Wladimir Putin, die ebenfalls nach der archaischen
Devise vergangener Jahrhunderte handeln: viel Feind`, viel Ehr. Alle
drei folgen dem Schwarz-Weiß-Muster: Entweder bist du für mich oder
gegen mich. Diese Strategie mag schlicht sein, doch sie ist zugleich
höchst wirksam und brandgefährlich. Erdogan und seine Anhänger tragen
zudem eine innertürkische Auseinandersetzung in die EU-Staaten. Doch
da gehört sie nicht hin, auch wenn in den westeuropäischen Staaten
Millionen türkischstämmige Menschen leben. Allein in Deutschland
leben rund drei Millionen, etwa 1,4 Millionen davon sind
abstimmungsberechtigt, wenn es um das Schicksal der türkischen
Demokratie, ja der laizistisch verfassten türkischen Republik geht.
Auch die türkische Gemeinschaft hierzulande ist in Pro und Contra
Erdogan tief gespalten. Zwischen glühenden Anhängern der AKP,
liberalen Türken mit deutschem und/oder türkischem Pass sowie mehr
oder weniger gemäßigten Kurden aus der Türkei tun sich Welten auf.
Von "türkischer Gemeinschaft" kann man eigentlich kaum sprechen. Für
viele einst nach Deutschland gekommene Türken, inzwischen in der
zweiten und dritten Generation, sind der Präsident, die Regierung und
die Glaubenslehrer in der alten Heimat immer noch die entscheidenden
Orientierungspunkte. Für andere eben genau nicht. Hier zeigt sich
auch ein Integrationsdefizit. Deutschland ist offenbar nur für eine
Minderheit der hier lebenden Türken eine wirkliche Heimat geworden.
Und sei es auch nur die zweite. Viele haben sich in einer
Parallelgesellschaft eingerichtet, die Erdogan nun als Resonanzboden
für seine Parolen nutzt. In dieser vertrackten Lage gibt die
Europäische Union leider ein diffuses Bild ab. Die einen, etwa der
von niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders getriebene
Premier Mark Rutte, zeigen klare Kante gegen Ankara. Andere, etwa
Kanzlerin Angela Merkel und ihr Außenminister Sigmar Gabriel,
formulieren lauwarmen Protest, schieben aber ansonsten die
Verantwortung für Pro-Erdogan-Propaganda-Auftritte, oder eben deren
Ablehnung, an kommunale Behörden ab. Aus Furcht, das
Flüchtlingsabkommen könne platzen. Doch von diplomatischer
Taktiererei lässt sich Erdogan nicht beeindrucken. Eine gemeinsame,
klare Haltung der EU täte bitter not.
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