(ots) - Die Kanzlerin versteht sich im Umgang mit
schwierigen Männern. Das hat Merkel in ihrem Verhältnis zum
russischen Präsidenten Wladimir Putin ebenso bewiesen wie in dem zum
türkischen Regierungschef Recep Erdogan. Diese Erfahrung hilft Merkel
dabei, einen Draht zum neuen US-Präsidenten zu entwickeln. Obwohl
Trump die Kanzlerin zum Lieblingsfeindbild in Europa stilisiert hat.
Sie sei eine schwache Führerin, die in der Flüchtlingspolitik einen
"katastrophalen Fehler" gemacht habe. Die Aufnahme mehrerer
Hunderttausend Syrer sei "ein Desaster" für Deutschland. Merkel
"ruiniere" damit ihr Land. Die Kanzlerin lässt die Tiraden an sich
abperlen. Sie versteht instinktiv, das Nichtbeachtung die größte
Strafe für Narzissten ist. Stattdessen beschwört sie die Nato, die
Europäische Union und die Vereinten Nationen, preist den Freihandel
und erinnert an den Wert von Bürger- und Menschenrechten. Während
sich "Lady Liberty" auf Ellis Island angesichts von Muslim-Bann,
Mauer-Bau und Migranten-Hatz die Augen aus dem Kopf heult, hält
Merkel die Fackel der Freiheit hoch, die ihr Barack Obama bei seinem
Abschiedsbesuch in Berlin sinnbildlich in die Hand gedrückt hatte.
Nach sieben Wochen Trump im Weißen Haus ist klarer denn je: Die
Zukunft der liberalen Demokratie wird im Westen Europas verteidigt.
Dieser Präsident arbeitet offen gegen die weitere Integration des
Kontinents, zweifelt an dem westlichen Verteidigungsbündnis und setzt
auf Protektionismus. Angela Merkel hat längst verstanden, dass Trump
darauf abzielt, Berlin und Brüssel gleichermaßen zu schwächen. Als
Hebel benutzt er die Förderung rechtspopulistischer Kräfte in den
Niederlanden, Frankreich und Großbritannien, während er gleichzeitig
versucht, alte Ressentiments gegen die Macht in der Mitte Europas zu
schüren. Merkels Mission in Washington besteht darin, das Schlimmste
zu verhindern. Dafür braucht es Ansatzpunkte. Es gehe darum, heißt es
in der Sprache der Diplomaten, gemeinsame Interessen zu besprechen
und möglichst zu identifizieren. Gemessen an den engen
transatlantischen Beziehungen der vergangenen sieben Jahrzehnte
klingt das mehr als bescheiden. Dankbar wird registriert, dass
Verteidigungsminister James Mattes die Nato nicht für obsolet hält,
und Sicherheitsberater H.R. McMaster mit Fiona Hill eine
Russland-Expertin ins Weiße Haus geholt hat, die nicht bei Wladimir
Putin auf dem Schoß saß. Ob Trump die Hand der Kanzlerin höflich hält
(Teresa May) oder fast zerdrückt (Shinzo Abe), spielt am Ende weniger
eine Rolle, als wie er sich zum Handelsüberschuss des
Exportweltmeisters und den Verteidigungsleistungen im Bundeshaushalt
verhält. Der "America-First"-Nationalist im Weißen Haus hat in der
Vergangenheit unmissverständlich klargemacht, dass er an dieser
Stelle Entgegenkommen verlangt. Merkel muss deutlich machen, dass
nicht Handelsschranken, sondern überzeugende Produkte und
Dienstleistungen Defizite verringern. Konzerne wie Apple, Google und
Starbucks finden schon heute in Europa einen attraktiven Markt.
Hinsichtlich der Verteidigungsausgaben liegt es im Eigeninteresse
Europas mehr zu tun. Nicht nur im Budget, sondern vor allem auch bei
der dringend nötigen Integrierung der Streitkräfte und dem Aufbau
einer europäischen Verteidigungsidentität. Wenn es Merkel gelingt,
Trump davon abzubringen, die liberalen Demokratien des Westens weiter
zu unterminieren, wäre die Reise nach Washington ein Erfolg.
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