(ots) - Es war eine selbst für die 153 Jahre alte SPD bislang
einmalige Duplizität: Am gleichen Tag, an dem mit Frank-Walter
Steinmeier der dritte Sozialdemokrat nach Gustav Heinemann und
Johannes Rau sein Amt als Bundespräsident antrat, wählte die Partei
mit Martin Schulz einen neuen Vorsitzenden, der zugleich ihr mit
Vorschusslorbeer umkränzter Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl
ist. Ein umjubelter Feiertag für die SPD zweifellos, aber was
bedeutet dieses Doppelereignis für die politische Stimmung und das
Machtgefüge in Deutschland? Was den neuen Hausherrn von Schloss
Bellevue betrifft, so ruht ab sofort seine SPD-Mitgliedschaft. Das
ist üblich bei unseren Staatsoberhäuptern, die über den Parteien
stehen sollen und in ihrer Unabhängigkeit "dem Wohle des deutschen
Volkes" verpflichtet sind, wie es im Grundgesetz heißt. Mithin wird
sich Frank-Walter Steinmeier in den nächsten fünf Jahren für
irgendwelche Parteiinteressen nicht einspannen oder
instrumentalisieren lassen. So wenig Steinmeiers Amtsantritt ein
klares parteipolitisches Signal oder gar ein Präjudiz für die
Regierungsbildung im Herbst ist, so unverkennbar verknüpft die SPD
mit ihrem neuen Frontmann den Anspruch auf einen Machtwechsel im
Bund. Martin Schulz hat nicht nur seine Partei in Euphorie versetzt,
sondern auch für eine demoskopische Dynamik gesorgt, die selbst
Experten nicht erschöpfend erklären können. Mit Schulz an der Spitze
scheint für die zuvor unterbewertete SPD möglich, was mit Sigmar
Gabriel undenkbar war - den Rückstand zur Union wettzumachen und
Angela Merkel aus dem Kanzleramt zu verdrängen. Diese offene
Perspektive macht den Wahlkampf spannend, bürdet Schulz aber auch
eine herausfordernde Last auf. Es ist ja nicht so, dass bereits eine
manifeste Wechselstimmung im Land spürbar wäre, ein massiver
Überdruss an der CDU-Regierungschefin oder ein unüberhörbarer Ruf
nach "SPD pur". Soll sich der "Schulz-Hype" nicht als emotionales
Strohfeuer entpuppen, muss der Kandidat nachliefern. Seine bisherigen
Pläne für sozialpolitische Korrekturen mögen einem verbreiteten
Gerechtigkeitsempfinden genügen, doch ein reformerisches
Gesamtkonzept, das auch andere Felder der Innen- und
Gesellschaftspolitik umfasst, steht noch nicht dahinter. Die aktuelle
Begeisterung für Schulz hängt damit zusammen, dass er in den Augen
seiner aus langer Depression erwachten Parteifreunde und in der
Wahrnehmung vieler Wähler eine Alternative zu der scheinbar
alternativlosen Kanzlerin bietet. Freilich liefe dieser Rausch ins
Leere, wenn der momentane Kandidat der Herzen seinen Machtanspruch in
den nächsten sechs Monaten nicht inhaltlich und koalitionsstrategisch
unterfüttert sowie eine Kampagne hinlegt, der - anders als bei seinen
erfolglosen Vorgängern Steinmeier und Steinbrück - Flügel wachsen.
Mit Steinmeiers Amtseinführung und der Wahl von Schulz schon vom
Beginn einer neuen sozialdemokratischen Ära zu träumen erscheint
jedenfalls gewagt, wenn nicht gar illusionär.
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Ulrike Sosalla
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