(ots) - Wie viele Soldatinnen und Soldaten leisten ihren
Dienst in der Bundeswehr gewissenhaft, aufrichtig, engagiert und
anständig? Wie viele Vorgesetzte sind gute Chefs, arbeiten
vorbildlich, pflichtbewusst und setzen sich für ihre Leute ein? Egal,
wie die genaue Zahl lauten mag: Es sind sehr, sehr viele. Insofern
waren die Vorwürfe von Bundesverteidigungsministerin von der Leyen in
ihrer Pauschalität ein Affront gegenüber all denjenigen, die ihren
Job machen und die in Afghanistan, in Afrika oder sonst wo auf der
Welt (im Auftrag der Ministerin) ihren Kopf riskieren.
Wer einmal nachts in unbekanntem Gelände auf Streife war, wer mit
einer Waffe eine Kaserne bewacht oder miterlebt hat, wie sich Väter
von ihren Familien verabschieden, um für ein Jahr nach Afghanistan zu
gehen, der bekommt ein Gefühl dafür, wie die undifferenzierten
Vorwürfe von der Leyens viele Soldaten und ihre Angehörigen verletzt
haben dürften. Insofern ist die Empörung über die
Verteidigungsministerin berechtigt.
Andererseits wäre es natürlich naiv, die Bundeswehr als
Organisation ohne Fehl und Tadel zu sehen. In den Jahrzehnten ihres
Bestehens haben sich Missstände ausgebildet, die mancherorts schwer
aufzulösen sind. Man hält dicht, man hält zusammen und mancher hält
auch die Hände auf, wenn es um lukrative Aufträge etwa bei der
Beschaffung von Waffen oder Fahrzeugen geht. Dass rechtsextrem
Gesinnte die Armee als gemeinsame politische und agitatorische Heimat
entdecken, ist ebenfalls kein unbekanntes Phänomen. Dass ein Offizier
mit zwei Identitäten Terroranschläge verüben will und möglicherweise
Mitwisser hat, reicht allerdings weit über das bisher Vorstellbare
hinaus.
Insofern hat sich von der Leyen mit ihrer pauschalen Kritik an der
Bundeswehr und deren Führungskräften falsch, mit ihrem rigorosen
Vorgehen im konkreten Fall richtig verhalten. Unter dem Druck der
Ereignisse und der bevorstehenden Bundestagswahl setzt sie sich an
die Spitze der Bewegung. Ihr gestriger Besuch in der elsässischen
Kaserne in Illkirch war ein klares Signal. Sie will aufklären. Sie
will sich keine Versäumnisse vorwerfen lassen, zumal sie für diese
Ereignisse letztlich die Verantwortung trägt. Sie ist seit 2013 im
Amt, so dass sie nichts mehr auf ihre Vorgänger abwälzen kann.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass von der Leyen und die
Bundeswehr bis heute mit einer gravierenden Fehlentscheidung von
Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg zu kämpfen haben. Der
CSU-Politiker schaffte 2011 handstreichartig die Wehrpflicht ab und
setzte damit fahrlässig die Verankerung der Armee in der Gesellschaft
aufs Spiel. Die Warnungen vor einem "Staat im Staate" waren laut und
berechtigt. Der Einsatz von Wehrpflichtigen tat der Bundeswehr gut -
auch wenn das aus Sicht manches Wehrpflichtigen umgekehrt nicht der
Fall war. Dennoch gab es ein Grundverständnis und über Generationen
einen Grundkonsens über die Rolle der Bundeswehr als
Verteidigungsarmee und Teil der demokratischen Stabilität. Auch war
die Wehrpflicht für die Bundeswehr ein geeignetes Mittel, Nachwuchs
aus der Mitte der Gesellschaft aufzubauen.
Dies alles hat sich in ganz kleinen Schritten, über die zeitliche
Distanz aber doch merklich verändert. Insofern muss in der Bundeswehr
da aufgeräumt werden, wo es Missstände gibt. Nicht pauschal, sondern
fallbezogen und konsequent. Für Ursula von der Leyen geht es um die
politische Zukunft, für die Bundeswehr um die Glaubwürdigkeit - und
damit um ihr höchstes Gut.
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