(ots) - Der schwedische Regisseur Ingmar Bergman
brachte in den 70er Jahren mit "Szenen einer Ehe" ein tiefgründiges
filmisches Meisterwerk in die Kinos. Eine scheinbare Musterehe
scheitert dramatisch, obwohl die beiden Hauptfiguren nicht
voneinander lassen können. Zwischen Ankara und Berlin laufen derzeit,
wenn man so will, Szenen einer Nicht-Ehe ab. Man kennt sich, man
braucht sich, man streitet sich, obwohl es zur wirklichen Polit-Ehe
zwischen Deutschland und der Türkei innerhalb der Europäischen Union
gar nicht gekommen ist. An unschönen Szenen jedoch herrscht kein
Mangel. Nach dem Militärputsch im vergangenen Juli beschuldigte der
türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan deutsche Spitzenpolitiker,
sie hätten nicht rasch und entschlossen genug für die türkische
Demokratie ihre Stimme erhoben und mit einem Staatsbesuch Solidarität
bekundet. Monate später stellte sich heraus, dass der türkische
Geheimdienst in Deutschland Mitglieder der Gülen-Bewegung verfolgt,
die von Ankara für den Putsch verantwortlich gemacht werden. Berlin
reagierte verschnupft und wies Agenten aus. Wochenlang waberte die
Affäre um Auftritte von türkischen Regierungsmitgliedern in
Deutschland, die ungeniert für das Verfassungsreferendum Propaganda
machten, mit dem wichtige demokratische Rechte ausgehöhlt oder sogar
abgeschafft werden sollen. Es spielten sich zum Teil bizarre Szenen
ab. Weil hier und da kommunale Behörden türkische
Regierungspropaganda untersagten, griff Präsident Erdogan gar zu dem
unsäglichen Vergleich mit dem Nazi-System. Die Bundesregierung jedoch
blieb kühl und diplomatisch. Sie zahlte die verbalen Attacken von
Erdogan und mehreren Ministern nicht mit gleicher Münze heim. In
Deutschland lebende wahlberechtigte Türken konnten unter großen
Sicherheitsvorkehrungen in hiesigen Konsulaten ihre Stimme abgeben.
Das war ein großes Entgegenkommen Berlins an Ankara, das von
türkischer Seite allerdings kaum gewürdigt wurde. Im Gegenteil. Auf
der anderen Seite gewährt die Bundesrepublik politisch verfolgten
Türken Zuflucht. Die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei,
Diplomaten, Soldaten, Richter, Professoren und andere Beamte etwa,
wächst ständig. Derzeit suchen über 7000 Türken hierzulande Schutz
vor Verfolgung in der Heimat. Doch was in Deutschland Verfassungsrang
genießt (Artikel 16 des Grundgesetzes) - betrachtet die türkische
Regierung als Provokation. In diesem Konflikt prallen zwei Welten
aufeinander. Dort der nach weitgehender Alleinherrschaft strebende
Präsident Erdogan, der sich die Aushebelung der Demokratie per
Referendum absegnen ließ. Hier die Bundesregierung, die der
Verfassung und den Gesetzen folgen muss. Eine Abstimmung über die
Wiedereinführung der Todesstrafe, wie sie Erdogan immer wieder ins
Spiel bringt, ist in Deutschland undenkbar. Es ist deshalb nur
folgerichtig, dass türkischen Bestrebungen, nun auch ein Referendum
über die Todesstrafe abzuhalten, in Deutschland keinerlei Raum
gegeben wird. Anders als beim Verfassungsreferendum, für das
türkische Politiker in Deutschland ungeniert Propaganda machten, hat
Bundeskanzlerin Angela Merkel nun klare Kante gezeigt. Werbung für
die Todesstrafe wird es auf deutschem Boden nicht geben. Dabei hatte
Erdogan die Todesstrafe in der Türkei 2004 vollständig abgeschafft.
Wenn er sie nun wieder einführen will, würde er endgültig eine rote
Linie überschreiten. Ankaras Beitrittswunsch zur EU wäre damit
endgültig der Boden entzogen. Der Beziehung zwischen Berlin und
Ankara droht eine weitere äußerst unschöne Szene.
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