PresseKat - Mitteldeutsche Zeitung: Sachsen-Anhalt/Politik Richter beklagen Druck von oben: Strafe für zu lang

Mitteldeutsche Zeitung: Sachsen-Anhalt/Politik

Richter beklagen Druck von oben: Strafe für zu lange Verfahren?

ID: 1501268

(ots) - Der Protest Magdeburger Richter gegen eine aus ihrer
Sicht unzulässige Einflussnahme des sachsen-anhaltischen
Justizministeriums ist kein Einzelfall. Auch aus Halle liegt eine
Beschwerde vor: Der Richterrat am Sozialgericht hat sich bereits am
7. Juni in einem 17-seitigen Schreiben über Druck von oben beschwert.
Das berichtet die in Halle erscheinende Mitteldeutsche Zeitung
(Dienstagausgabe).

Auslöser sind Prozesse, für die das Land wegen überlanger
Verfahrensdauer Schadenersatz zahlen muss. In diesen Fällen, heißt es
in dem Papier, verlange das Land ein Disziplinarverfahren gegen den
betreffenden Richter. "Hieraus ergeben sich erhebliche Gefahren für
die richterliche Unabhängigkeit der Gesamtheit der Richterschaft",
klagen die Richter in dem Schreiben.

Das Justizministerium bestätigt, dass Gerichtspräsidenten prüfen
müssten, ob Maßnahmen der Dienstaufsicht geboten seien. "In diese
Entscheidung ist weder die Ministerin noch der Staatssekretär
eingebunden", sagte Ministeriumssprecher Detlef Thiel der Zeitung.
"Das läuft auf Arbeitsebene."

Am Sonnabend hatte die Zeitung enthüllt, dass sich Richter am
Landgericht Magdeburg durch einen Anruf von Staatssekretär Böning
unter Druck gesetzt fühlen, ein bestimmtes Verfahren zu
beschleunigen. Das Ministerium beteuert, der Staatssekretär habe
nicht in die richterliche Unabhängigkeit eingreifen wollen.

Sachsen-Anhalts Richterbund fordert von Justizministerin
Anne-Marie Keding (CDU) eine zügige Aufklärung dieses Falls.
Landesvorsitzender Markus Niester betonte, allein Gerichte hätten zu
entscheiden, zu welchem Zeitpunkt anhängige Verfahren verhandelt
werden. "Jede Einflussnahme" auf die Terminbestimmung sei unzulässig,
sagte Niester dem Blatt. Ob der Anruf von Böning eine solche
Einflussnahme gewesen sei, müsse nun geklärt werden. Dabei gehe es um




den Inhalt, aber auch um den Ton. Ein zurückhaltender und
"informatorischer" Anruf sei keine Ãœberschreitung der Grenze, sagte
Niester. "Wenn aber die Nummer Zwei der Justiz im Land einem Richter
eine Forderung stellt, dann ist das absolut unzulässig."

Angeheizt wird die Debatte durch den AfD-Landtagsabgeordneten
Mario Lehmann. Der frühere Polizist bescheinigte Staatssekretär
Böning eine "gesunde Rechtsauffassung" und betonte, es gehe um den
Schutz der Bevölkerung vor einem "hochgefährlichen Straftäter". Wenn
ein Justiz-Staatssekretär "eine Meinung zu einer konsequenten und
zügigen Berufungsverhandlung hat und dies der Judikative mitteilt",
dann sollte das "unaufgeregt betrachtet werden".

Linke und Grüne rügten die Aussage "Das lässt jeden Respekt vor
der Gewaltenteilung vermissen", sagte der Grünen-Abgeordnete
Sebastian Striegel. Die linke Abgeordnete Eva von Angern griff erneut
Böning an. "Der Staatssekretär suggeriert, dass Richter ihrer
Verantwortung nicht gerecht werden und die Politik ein Machtwort
sprechen muss." Am Dienstag will Justizministerin Anne-Marie Keding
(CDU) vor dem Rechtsausschuss Stellung nehmen.



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Hartmut Augustin
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Datum: 19.06.2017 - 20:00 Uhr
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