(ots) - Vor zwei Tagen wurde an dieser Stelle vor dem
Hintergrund des G20-Gipfels in Hamburg auf das Recht auf Protest
verwiesen. Ein Appell an die Politik und die Polizei, notwendigem und
berechtigtem Protest Raum zu geben. Eine richtige Forderung, weil sie
grundlegende Qualitäten unserer freiheitlich-demokratischen
Grundordnung unterstützt. Aber auch eine Forderung, die angesichts
der (vorhersehbaren) Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und
manchen Demonstranten in Hamburg um einen Appell erweitert werden
muss. Und zwar an die Protestierenden, zumindest an die, denen es
wirklich um Inhalte und nicht lediglich um den Adrenalinkick bei
hooliganartigen Scharmützeln geht. Hier kann man vortrefflich mit der
öffentlichen Ordnung argumentieren, die es zu achten gilt, oder mit
dem Respekt vor dem Gegenüber, der Gewalt ausschließen sollte. Der
Appell reicht aber tiefer, weil die Geschichte des Protestes zeigt,
dass in demokratischen Staaten auf lange Sicht eigentlich nur die
Proteste Wirkung entfalten, denen es gelingt, die Herzen der
Bevölkerung zu erobern. Dass dies mit Gewalt nicht funktionieren
kann, ja, dass sie sogar kontraproduktiv ist, müsste eigentlich jedem
einleuchten. Vielmehr muss es den Protestlern gelingen, ihre Inhalte
in die Öffentlichkeit zu bringen und für sie zu werben. Da muss man
gar nicht die Ikonen gewaltfreien Protests wie Martin Luther King
oder Mahatma Gandhi bemühen, sondern es reicht ein Blick in die
bundesdeutsche Geschichte. Natürlich hatte etwa die Anti-AKW-Bewegung
auch immer militante Elemente, die Tatsache, dass der Großteil der
bundesdeutschen Bevölkerung inzwischen gegen Atomkraft ist, hat aber
weniger mit dem Werfen von Steinen als vielmehr mit dem Austausch von
Argumenten zu tun. Nicht, dass wir uns hier falsch verstehen. Es geht
nicht darum, legitime Kritik an derartigen Gipfeln oder an unserem
Wirtschaftssystem zu kriminalisieren. Die gibt es, und sie muss es
auch geben, egal, ob man ihr immer zustimmt oder nicht. Wer das nicht
aushält, der hat das Prinzip der freien Meinungsäußerung nicht
verstanden (ein paar der Gipfelteilnehmer sollen zu diesem
Menschenschlag gehören). Wer derartige Kritik aber gezielt dazu
nutzt, um Gewalt auszuüben, schadet nicht nur dem Rechtsstaat,
sondern auch der eigenen Sache. Bliebe die Frage, warum manche
Menschen glauben, ihre Ansicht hierzulande mit Gewalt durchsetzen zu
müssen. Da mag oben angesprochener anarchistisch getriebener
Adrenalinkick eine Rolle spielen, wie man ihn von den Chaostagen der
80er und 90er Jahre kennt. Zudem haben die Sicherheitskräfte in
Hamburg bislang nicht gerade deeskalierend gewirkt. Und dann gibt es
einige Wirrköpfe, die tatsächlich in dem Glauben leben, eine Art
Widerstandsrecht auszuüben. Sie sehen sich im Kampf gegen ein
unmenschliches System, bei dem sie gewissermaßen die Pflicht haben,
sich mit Gewalt zu wehren. Bei aller berechtigten Kritik an
Auswüchsen des Kapitalismus, bei aller berechtigten Empörung über
multinationale Konzerne, bei aller berechtigten Wut über
Ungerechtigkeit in der Welt: Wer sich in Deutschland im Kampf gegen
ein System sieht, dem man mit Gewalt begegnen muss, äußert damit
indirekt seinen Hohn über Menschen, die in wirklich repressiven
Staaten leben. Die in der Türkei, in China oder Venezuela froh wären,
wenn sie einfach nur ihre Meinung äußern könnten. Gewaltfrei.
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