(ots) - Laut Ministerpräsident haben Sie aus der Presse
von den Kartellvorwürfen erfahren. Fühlen Sie sich als
VW-Aufsichtsratsmitglied ausreichend informiert?
Olaf Lies: Nein, wobei die eigentliche Kernfrage lautet: Was
hätten wir an Informationen vorher bekommen müssen. Ins Rollen kam
die Debatte letztendlich durch die Berichterstattungg über eine
mögliche Selbstanzeige. Das ist unangemessen. Ich erwarte, dass die
Landesvertreter im VW-Aufsichtsrat vollumfänglich vom Unternehmen
informiert werden. Diese Dinge haben wir mit einem großen
Fragenkatalog bei der Aufsichtsratssitzung am Mittwoch angesprochen.
Im Nachhinein Antworten zu erhalten, ist selbstverständlich.
Zukünftig wollen wir sie aber vorab erhalten.
Selbst wenn am Ende herauskommen sollte, dass die Konzerne sich
nur zum Zwecke der Standardisierung abgesprochen haben, bliebe
dennoch etwas hängen, weil den Autoriesen derzeit niemand mehr traut?
Olaf Lies: Das lässt sich im Moment noch nicht bewerten. Dass es
in Branchen zwischen Herstellern zu Gesprächen kommt, ist nicht
ungewöhnlich. Wenn etwa über die Standardisierung von Ladesäulen im
Bereich Elektromobilität gesprochen wird, ist dies sinnvoll und
bringt auch dem Kunden etwas. Die Gretchenfrage ist aber, ob Kunden
oder Zulieferer bei diesen Gesprächen geschadet wurde. Handelt es
sich um einen erlaubten und wettbewerbsneutralen Austausch oder wurde
die Grenze überschritten. Das ginge gar nicht, muss und wird deshalb
auch hart sanktioniert werden. Mit Wissensstand heute lässt sich
allerdings noch nicht sagen, was der genaue Inhalt der Gespräche war.
Bestätigen sich die Vorwürfe, könnten die Kartellbehörden
Bußgelder in Höhe von zehn Prozent des letzten Jahresumsatzes
verlangen. Würde es dann für VW existenziell?
Olaf Lies: Hart sanktioniert darf selbstverständlich nicht nur
heißen, dass hohe Geldbußen aufgerufen werden, sondern meint vor
allem, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft werden. Bei der
Debatte über Konsequenzen und über mögliche Geldbußen sollte
berücksichtigt werden, dass die Automobilindustrie ein wichtiges
Standbein des Industriestandortes Deutschland ist. Wir dürfen uns
auch nicht selbst zerfleischen. Die Unternehmensvertreter, die
zusammensaßen, tragen auch eine Verantwortung für den Standort. Bis
zu diesem Zeitpunkt gehe ich davon aus, dass sie die auch
wahrgenommen haben.
BMW weist die Vorwürfe illegaler Absprachen zurück, Daimler soll
sich aus den Geheimtreffen zurückgezogen haben. Wird VW allein am
Pranger hängen?
Olaf Lies: Die Dramatik besteht derzeit darin, dass sich ein sehr
kritischer Fokus auf einen für Deutschland wichtigen Industriezweig
richtet. Bei allem Verständnis für Verärgerung sollten wir daran
denken, dass allein in Niedersachsen 120.000 Jobs an Volkswagen
hängen. Hinzu kommt noch mal mindestens die gleiche Zahl in der
Zulieferindustrie. Diese Arbeitnehmer dürfen nicht für die möglichen
Fehler - das gilt es ja noch zu klären - von Managern haftbar gemacht
werden. Derzeit steht die Reputation der deutschen Automobilindustrie
schon wegen des Themas Diesel auf der Kippe. Die Kunden sind
enttäuscht. So ehrenvoll es ist, dass VW die Selbstindienstnahme in
der brasilianischen Militärdiktatur durchleuchtet. Wann hört die
Branche auf, Rückzugsgefechte zu führen, um den Tesla-Herausforderer
zu liefern?
Olaf Lies: Da sind wir auf einem guten Weg. Nun kann man natürlich
fragen, ob wir zu spät sind. Aber die deutsche Automobilindustrie war
schon oft ein first follower, ging also nicht jeden Weg mit, aber
die, für die sie sich entschied - dann erfolgreich. VW baut zehn
Millionen Autos, dagegen besetzt Tesla nur eine Nische. 2019/20 wird
der "ID" herauskommen, das erste reine Elektrofahrzeug von VW. Das
nächste wird kurz darauf ein echtes Volumenfahrzeug, das preislich
auch beim Golf-Diesel liegen soll und min. 500 Kilometer Reichweite
haben. 2025 sollen dann min. 20 Prozent der VW-Neuzulassungen rein
elektrisch angetrieben werden.
Sind Sie froh über die Möglichkeit, im Aufsichtsrat korrigierend
eingreifen zu können oder fürchten Sie, dass die
VW-Skandal-Dauerschleife der Landesregierung schadet?
Olaf Lies: Natürlich muss man sich als Aufsichtsratsmitglied
öffentliche Kritik gefallen lassen. Dennoch bin ich froh, gerade in
dieser schwierigen Phase an vielen Stellen die Interessen des Landes
und der Mitarbeiter verteidigen zu können.
Die "OOCL Hong Kong" - das größte Containerschiff der Welt legte
jüngst in Ihrer Heimatstadt an. Ist der JadeWeserPort nun endlich auf
den Seekarten der Reedereien angekommen?
Olaf Lies: Seit einigen Monaten endgültig. Wir haben jetzt acht
Reedereien, die Wilhelmshaven anlaufen. Das eröffnet für uns die
Chance, im nächsten Jahr die psychologisch wichtige 1-Million-Marke
bei den umgeschlagenen Containereinheiten zu nehmen. Dabei half, dass
Betreiber und Land nun - anders als in den ersten Jahren des
Tiefwasserhafens - geschlossen auftreten und Wilhelmshaven
professionell gemeinsam vermarkten. Wir haben es geschafft, einen
Hafen in der schwierigen Zeit eines absackenden Welthandels am Markt
zu platzieren und den Vorteil des Hafens, dass er auch für die
Containerriesen der neuesten Generation tideunabhängig zu erreichen
ist, in den Überlegungen der Reeder zu verankern. Für Niedersachsen
gilt es jetzt, Wilhelmshaven, Hamburg und Bremerhaven besser zu
verzahnen.
Warum gelingt es trotz SPD-Senats in Hamburg nicht, die deutschen
Seehäfen von Konkurrenz auf Kooperation umzupolen?
Olaf Lies: Der Ausstieg Hamburgs aus dem JadeWeserPort vor
fünfzehn Jahren war ein Fehler. Es dominiert immer noch das Denken,
in Wilhelmshaven einen Konkurrenten zu sehen. Doch es ist absurd, zu
glauben, dass Niedersachsen den Hamburger Hafen schwächen wolle.
Tausende Niedersachsen arbeiten dort. Wir haben größtes Interesse an
einem boomenden Hamburger Hafen. Doch das Problem bleibt, dass die
größten Containerschiffe dort trotz Ausbaggerung der Elbe nicht
anlegen können. Und die Alternative kann Rotterdam heißen, wenn es
uns nicht gelingt, die jeweiligen Vorteile der deutschen Häfen klug
zu vernetzen. Letztendlich muss es auf einen digitalen Hafen
Norddeutschland hinauslaufen, hinter dem sich die realen Häfen
Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven verbergen.
In der Vergabeaffäre scheinen Sie die größten Wellen abgewettert
zu haben - oder erwarten Sie die echten Kaventsmänner erst im
Wahlkampfendspurt?
Olaf Lies: Mir geht es darum, die ganze Sache gründlich
aufzuarbeiten und dabei die größtmögliche Transparenz zu schaffen.
Darauf haben sowohl die Beteiligten als auch die Öffentlichkeit einen
Anspruch. Wir haben den ersten Fall der Website nds.de sofort extern
aufarbeiten lassen. Die erreichte Transparenz hat auch den Sinn,
nicht unnötigerweise monatelang über Dinge zu diskutieren, die zwar
wichtig sind, aber Niedersachsen nicht voranbringen. Deswegen war für
mich auch von vornherein klar, dass der Parlamentarische
Untersuchungssausschuss von Anfang an arbeitsfähig sein muss, weshalb
mein Ministerium dem Ausschuss umgehend 135 Ordner übergeben hat.
Wenn Fakten nicht vorliegen, ist die Debatte zumeist dramatischer,
als wenn die Akten ausgewertet werden können. Ich werde als erster
Zeuge im Untersuchungsausschuss auftreten und will damit auch zu
einer restlosen Aufklärung beitragen. Ich hoffe, dass wir bei der
Wahrnehmung dieses guten parlamentarischen Rechts zu einer sachlichen
Form der Zusammenarbeit - und dann zu angemessenen Konsequenzen
kommen. Um zukünftig Fehler bei Vergaben zu vermeiden, haben wir eine
zentrale Stelle für Vergabeverfahren eingerichtet. Diese nimmt ab dem
1. August ihre Arbeit auf. Das bündelt Kompetenzen, entlastet die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Haus und schafft Sicherheit.
Sie haben oft betont, dass sich ein Minister nicht en detail um
Vergaben kümmere. Welchen Fehler würden Sie sich dennoch persönlich
zuschreiben?
Olaf Lies: Um das zu beantworten, muss man sich vergegenwärtigen,
was eigentlich wer in welcher Rolle macht: Der Minister legt die
politischen Schwerpunkte fest. Inspiriert von der Art, wie sich die
Öresund-Region präsentiert, brachte ich den Stein ins Rollen, dass
sich Niedersachsen künftig im Netz anders darstellen sollte. Welches
Unternehmen dabei welche Seite erstellt, ist mir egal. Insofern bin
ich nicht Teil der Abarbeitung, kann mich aber als Chef des Hauses
auch nicht hinstellen und sagen, ich hätte damit gar nichts zu tun.
Was würde ich heute anders machen? Zum einen, die Auftragsvergabe
künftig anders, nämlich zentralisiert zu handhaben. Und zum anderen,
derartige Aufgaben nicht mehr in unmittelbarer Nähe zum Minister
erledigen lassen. Ohne unangenehme Dinge war dieser Neuanfang nicht
zu schaffen. Ich habe die Staatssekretärin Daniela Behrens entlassen
und Pressesprecher Stefan Wittke ins Landesbergamt versetzt. Das
gehört zu der Verantwortung, die man ergreifen muss.
Das Interview führte Von Joachim Zießler
Pressekontakt:
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