(ots) - Volkswagen Brasilien hat zur Zeit der
brasilianischen Militärdiktatur eine Farm im Amazonasbecken betrieben
- auf dem Gelände wurden offenbar mit dem Wissen des damaligen
Farm-Managements Zwangsarbeiter eingesetzt. Das haben Recherchen von
NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung ergeben. Die Reporter der drei
Medien konnten Dutzende Protokolle von Aussagen ehemaliger
Leiharbeiter und Polizeiberichte auswerten sowie mit Arbeitern und
Verantwortlichen sprechen. Die betroffenen Arbeiter fordern nun
Entschädigungszahlungen des Unternehmens.
Volkswagen Brasilien: Der versuchte Einstieg ins Fleischgeschäft
Das Tochterunternehmen des Wolfsburger Autobauers plante in den
Siebzigerjahren den Einstieg in das Fleischgeschäft - auf Einladung
der brasilianischen Militärregierung, die Steuererleichterungen
anbot. Dafür gründete VW Brasilien im Jahr 1973 die "Companhia Vale
do Rio Cristalino", eine Farm im brasilianischen Bundesstaat Pará.
Das Unternehmen kaufte rund 140.000 Hektar Wald. Zur Umsetzung der
Rodungsarbeiten des Waldes im Amazonasbecken wurden Arbeitsvermittler
beauftragt.
Die Arbeitsvermittler entwickelten den Recherchen zufolge ein
System von Schuldknechtschaft, mit dem Leiharbeiter zur Arbeit
gezwungen wurden. Sie rekrutierten Männer für Rodungsarbeiten auf dem
Farm-Gelände. Dort angekommen, so schildern es die Arbeiter,
berechneten die Arbeitsvermittler entgegen den Absprachen den
Transport zur Farm - zur Abarbeitung dieser "Schulden" wurden sie
gezwungen, den Wald zu roden. Den Aussagen nach mussten die
Leiharbeiter auch für Nahrungsmittel hohe Preise zahlen, so dass sie
weiter verschuldet blieben. Die Arbeiter berichten von Gewalt,
massiven Misshandlungen und in Einzelfällen auch Tötungen von
Arbeitern auf dem Gelände der Farm, wenn diese versuchten zu fliehen.
Ehemaliger Farm-Manager räumt den Einsatz von Zwangsarbeit auf der
VW-Farm ein
Der ehemalige Manager der VW-Farm im Amazonas bestätigte nun im
Interview, vom System der Schuldknechtschaft auf dem Farm-Gelände
gewusst zu haben. "Das ist die Praxis, wie damals diese großen
Arbeiten durchgeführt wurden", so der heute 79-jährige gebürtige
Schweizer Friedrich Brügger. Man habe das System in Kauf nehmen
müssen, um das Farm-Projekt realisieren zu können. Brügger stand im
engen Kontakt zur Unternehmensleitung in São Paulo und in Wolfsburg.
Auch der Einsatz von Gewalt sei ihm bekannt gewesen: "Ja, es wurden
schon massive Mittel verwendet, damit sie nicht davonlaufen. Vor
allem, wenn sie verschuldet waren. Das war aber auch nicht speziell
von uns." Andere Möglichkeiten sieht der damalige Manager im
Rückblick nicht: "Das ist der Brasilianer, der zieht immer den
anderen übern Tisch." Dass es auch zu Todesfällen kam, bestritt
Brügger.
Die Recherchen zeigen, dass auch die Konzernspitze in Wolfsburg
spätestens im Jahr 1983 über Vorwürfe gegen die Farm im
brasilianischen Amazonasbecken informiert worden war. Damals schrieb
der Farm-Manager persönlich an den VW-Vorstandsvorsitzenden in
Wolfsburg, man sei als "Sklavenhalter" bezeichnet worden. Der
Empfänger des Briefes, der damalige Vorstandsvorsitzende Carl Hahn
junior, bestritt im Interview mit NDR, SWR und SZ, von den Vorwürfen
gewusst zu haben. "Ich habe ja bei uns keine Sklavenhalter gesehen."
Von VW beauftragter Historiker Kopper bestätigt die
Rechercheergebnisse
Volkswagen in Wolfsburg will sich inhaltlich bislang nicht äußern
und verweist auf Untersuchungen des Wirtschaftshistorikers Prof. Dr.
Christopher Kopper von der Universität Bielefeld. Er war mit
Recherchen zur Vergangenheit von Volkswagen Brasilien zur Zeit der
Militärdiktatur beauftragt worden. Nach Auskunft des Unternehmens
liegt das Gutachten nun vor und wird derzeit geprüft. Die Auswertung
der Ergebnisse wolle man abwarten.
Im Interview mit den drei Medien nahm Kopper jedoch bereits
Stellung und bestätigte die Vorwürfe: "Es war im Prinzip
Schuldknechtschaft." Dem Historiker zufolge hätte der Konzern anders
handeln können: "Man hätte ja diese Arbeitskräfte auch direkt bei VW
einstellen können." Stattdessen wurden die Leiharbeiter nur indirekt
über Arbeitsvermittler engagiert.
Eine Gruppe ehemaliger Leiharbeiter des Landgutes fordert
Entschädigungen vom Konzern. "Kein Mensch sollte so etwas erleben
müssen. Nicht einmal ein Tier darf man so behandeln", so der
ehemalige Arbeiter José Liborio. "Was ich jetzt von der Firma
erwarte, ist eine Entschädigung. Für die Erniedrigung, die wir
erleben mussten, die Respektlosigkeit. Das ist das Mindeste, was wir
von VW erwarten."
Der "Weltspiegel" im Ersten zeigt am Sonntag, 13. August, um 19.20
Uhr einen Bericht von Stefanie Dodt über das Thema. Die
Podcast-Episode "Die Farm" von NDR Info steht ab Donnerstag, 10.
August, ab 19.00 Uhr unter www.NDR.de/info zum Download bereit. Sie
ist Teil der fünfteiligen Radio- und Podcast-Serie "Komplizen? VW und
die brasilianische Militärdiktatur" von Stefanie Dodt und Thilo
Guschas. Im Radio sendet NDR Info die Folge "Die Farm" am Donnerstag,
10. August, um 20.30 Uhr.
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