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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur Bundestagswahl

ID: 1521858

(ots) - Mit Frust und Lust

von Claudia Bockholt, MZ

Zugegeben: Auch die Mittelbayerische hat in den vergangenen Wochen
gelegentlich orakelt, dass das Rennen um die Kanzlerschaft und die
Machtverhältnisse im Bundestag wohl schon gelaufen sei. Zu stabil
scheint derzeit die Mehrheit für Angela Merkel und gegen einen
Richtungswechsel in Berlin. Selbst wenn es so kommt: Ein Grund, am
24. September zu Hause zu bleiben, ist das nicht. Die freie Wahl zu
haben ist in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Damit es so
bleibt, sollte jeder überzeugte Demokrat seine Kreuzchen machen. Man
muss den Blick gar nicht bis in die Türkei oder die USA schweifen
lassen. Auch viele Deutsche hegen Misstrauen gegen "die da oben",
ihre Volksvertreter. Sie lehnen nicht grundsätzlich die Demokratie
ab. Doch jeder zweite Deutsche findet, dass deren Institutionen und
Akteure nicht ordentlich arbeiten. Der deutsche Frust kommt
angesichts der vielen Schurken- und Willkürstaaten weltweit wie ein
Luxusproblem daher. Populisten seien "enttäuschte Demokraten",
analysierte jüngst die Bertelsmann-Stiftung. Nicht jeder scharfe
Kritiker ist Populist. Echter populistischer Agitation muss man aber
ein Kreuz am rechten Fleck entgegensetzen. Das große Feld der
Deutschen, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden unserer
Verfassung stehen, darf Scharfmachern und Extremisten - ganz egal ob
rechts oder links der Mitte - keinen Millimeter weichen. Die Wahl zu
haben, ist immer ein Privileg - und sei es auch nur die Wahl zwischen
"weniger gut" und "nicht so toll". Keine Demokratie, keine Partei,
kein Politiker ist frei von Fehlern. Auch der Wähler ist es nicht. Er
wählt mit Bedacht oder aus Protest, nach Sympathie, aus alter
Gewohnheit oder aus dem Bauch heraus - oder weil er auf einen
machtversessenen Autokraten hört, der ihm aus der Ferne diktiert, wo




er gefälligst sein Kreuz machen soll. Die Politik muss mit Bürgern
leben, die selten Vertrauensvorschuss gewähren, die keinen langen
Atem und selten das große Ganze im Blick haben. Populismus verfängt
bei denen, die vor der Komplexität unserer Zeit kapitulieren und sich
danach sehnen, dass es für jedes noch so schwierige Problem eine
hübsch einfache Lösung gibt. Wer es als Politiker ernst meint, dringt
zu diesen spätromantischen Weltflüchtlingen kaum noch durch. Zudem:
Im atemlosen Informationszeitalter heben und senken die Menschen den
Daumen schneller denn je. Wer da mangelnde Nachhaltigkeit im
politischen Geschäft beklagt, sollte sich gelegentlich an die eigene
Nase fassen. Wählen zu gehen ist nicht nur Recht, sondern auch
Pflicht für jeden, der als Staatsbürger ernstgenommen werden will.
Das sollte besonders Erst- und Jungwählern vor Augen geführt werden.
Wie schwer es ist, die nachwachsende Generation zu erreichen, hat
gerade das Interview mit Angela Merkel und Youtubern gezeigt: Mehr
als nettes Geplänkel kam nicht herum beim Versuch der Kanzlerin, sich
auf Augenhöhe mit juvenilen Quasselkaspern zu begeben. So eine
einstündige Polit-Werbeshow mit Video-Stars verpufft wirkungslos.
Schulen und Elternhaus müssen ran. Das bedeutet: am 24. September am
besten mit Ehepartner und Kinderschar Richtung Wahllokal spazieren.
Wer den Urnengang schon als Kind und Heranwachsender als
Selbstverständlichkeit erlebt, wird ihn als Erwachsener nicht aus
Wurstigkeit auslassen. Wenn er seine Stimme abgegeben hat, darf der
Bürger sich auch mit Fug und Recht über die Regierungspolitik
beschweren. In Frankreich verliert Präsident Emmanuel Macron gerade
massiv an Zustimmung. Die 51,3 Prozent der Franzosen, die bei der
Parlamentswahl gar nicht mit abgestimmt haben, sollten sich mit
Kritik zurückhalten. Sie hatten es in der Hand. Für Prinzessinnen
gibt es ein erfrischend lebenslustiges Motto. Der müde gewordene,
gekränkte Souverän namens Wahl-Volk darf ihn sich gerne zu Herzen
nehmen: "Hinfallen. Aufstehen. Krönchen richten. Weitermachen."



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Datum: 18.08.2017 - 19:29 Uhr
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