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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zu Erdogan

ID: 1521952

(ots) - Der Boss vom Bospurus

von Reinhard Zweigler, MZ

Die Zunge ist schärfer als das Schwert, sagt ein türkisches
Sprichwort. Präsident Recep Tayyip Erdogan fühlt sich fast schon wie
ein Sultan und seine Worte werden immer verletzender. Er dreht damit
weiter an der Eskalationsschraube, macht Druck auf alle wirklichen
und vermeintlichen Feinde seines Kurses im Inland. Zugleich weitete
er seine Verbalattacken gegen das Ausland aus. Vor allem Deutschland
nimmt Erdogan mit wahrer Wollust immer wieder ins Visier. Nach
unsäglichen Nazi-Vergleichen, nach der Verhaftung deutscher
Journalisten und Menschenrechtler in der Türkei, die dort kein faires
rechtsstaatliches Verfahren bekommen, legte Erdogan nun nach und
forderte wahlberechtigte Deutsch-Türken auf, bei der Bundestagswahl
nicht ihr Kreuz bei Union, SPD oder Grünen zu machen. Doch mit dieser
Anmaßung nicht genug, knöpfte sich der Boss vom Bosporus nun den
deutschen Außenminister vor. Sigmar Gabriels Kritik an der
Einmischung in den deutschen Wahlkampf betrachtet der Präsident glatt
als Majestätsbeleidigung. Es fehlt nur noch, dass Erdogan zur
Auspeitschung des deutschen Chefdiplomaten aufruft. Allerdings, man
kann und muss sich über Erdogans Entgleisungen empören, doch zugleich
muss Berlin kühlen Kopf bewahren. Auch wenn es derzeit verdammt
schwerfällt, der Gesprächsfaden zu Ankara darf nicht gekappt werden.
Die Türkei ist objektiv immer noch ein wichtiger Verbündeter in der
Nato, beim Kampf gegen islamistischen Terrorismus und bei der
Bewältigung der Flüchtlingskrise. Nur darf sich Deutschland, darf
sich die EU, darf sich der Westen nicht erpressbar machen. Es gibt
viele Felder, auf denen jetzt harte Kante gezeigt werden kann und
muss. Die Vorbeitrittshilfen für die Türkei könnte Brüssel ebenso
einfrieren, wie es die Beitrittsverhandlungen auf Eis legen sollte.




In der jetzigen undemokratischen Verfassung ist das Land kein
Beitrittskandidat. Ankaras Reaktion auf die Androhung eines deutschen
Investitionsstopps im Land am Bosporus sowie auf verschärfte
Reisehinweise für Touristen haben gezeigt, dass wirtschaftlicher
Druck durchaus Wirkung zeigen kann. Es müssen nur alle mitmachen.
Eine einheitliche, abgestimmte Politik der EU gegenüber der Türkei
ist dringend notwendig. Klare Kante ist erst recht geboten im Fall
des in Spanien auf türkisches Betreiben hin festgenommenen
Schriftstellers Dogan Akhanli. Der seit vielen Jahren in Deutschland
lebende Türke mit deutschem Pass hat sich mit seinen
Veröffentlichungen über schlimme Menschenrechtsverletzungen, etwa dem
Genozid an Armeniern im osmanischen Reich, Erdogan zum Feind gemacht.
Der will die Verbrechen vor 100 Jahren unter den Teppich kehren.
Akhanlis Auslieferung an die Türkei wäre ein Kotau vor dem
Möchtegern-Sultan. Sie muss mit allen diplomatischen, politischen und
rechtlichen Mitteln, die Berlin zur Verfügung stehen, verhindert
werden. Offenbar jedoch braucht der nach Errichtung einer
Präsidialdiktatur strebende Erdogan diese Auseinandersetzung. Er
erfindet Sündenböcke, gegen die sich der Volkszorn richten kann. Erst
war das nur die Arbeiterpartei PKK als Speerspitze der nach
Unabhängigkeit strebenden Kurden in der Osttürkei. Dann kamen die
Anhänger des Predigers Fethullah Gülen hinzu, mit dem man bis vor
wenigen Jahren noch eng liiert war. Inzwischen lässt Erdogan gegen
beinahe alles vorgehen, was irgendwie demokratisch, bürgerlich,
liberal, westlich ist. Mit dieser Strategie des Aufbaus von
Feindbildern schweißt Erdogan einerseits die eigenen Anhänger
zusammen. Andererseits jedoch spaltet und polarisiert er die Türkei
weiter. Seit den Zeiten von Staatsgründer Kemal Atatürk hat es keinen
demokratisch gewählten Staatschef gegeben, der dermaßen die
Demokratie abbaut, Menschen in die Gefängnisse werfen lässt und
Menschenrechte mit Füßen tritt.



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Datum: 20.08.2017 - 17:21 Uhr
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