(ots) - Haltet den Dieb!
von Reinhard Zweigler, MZ
Ein Trick, um vom eigenen Diebstahl abzulenken, ist auf einen
anderen zu zeigen und laut zu schreien: Haltet den Dieb! Diesen
plumpen Trick versucht nun auch das türkische Außenministerium. Es
gab am Wochenende allen Ernstes Reisewarnungen für Deutschland
heraus. Türken sollten sich nicht auf politische Debatten einlassen
und Wahlkampfveranstaltungen in Deutschland meiden. Wenn die
Angelegenheit nicht so ernst wäre, man könnte über so viel
Unverfrorenheit lachen. Doch es ist kein Witz. Die türkische
Regierung, die offenbar derzeit nicht an einer Verbesserung des
Verhältnisses zu Berlin interessiert ist, dreht die wirklichen
Verhältnisse einfach um. Türken seien in Deutschland bedroht, wenn
sie sich politisch äußerten. Doch das ist absurd. Nicht türkische
Journalisten werden hierzulande in Untersuchungshaft genommen, ohne
Anklage festgehalten und von Strafen bedroht, sondern es sitzen mehr
als zehn deutsche Journalisten und Menschenrechtler in türkischen
Gefängnissen. Der "Welt"-Korrespondent Deniz Yücel musste seinen 44.
Geburtstag hinter Gittern verbringen. Die Journalistin und
Übersetzerin Mesale Tolu lebt mit ihrem zweijährigen Sohn in einer
Gefängniszelle. Und der Berliner Menschenrechtsaktivist Peter
Steudtner wurde nach einem Seminar in Istanbul inhaftiert. Die
Willkür von türkischer Polizei und Justiz kann allerdings auch ganz
normale Touristen treffen. Es genügt der vage Hinweis auf eine Nähe
zum Prediger Fethullah Gülen. Dass Staatspräsident Recep Tayyip
Erdogan vor nicht all zu langer Zeit noch mit Gülens islamischer
Bewegung paktierte, ist längst vergessen. Das innere Feindbild für
den Möchtegern-Sultan Erdogan heißt Gülen, das äußere heißt
Deutschland. In der Türkei lässt der mächtige Präsident Verwaltungen,
Universitäten, Justiz und Militär in einem Ausmaß "säubern", wie man
das aus der Geschichte vielleicht nur vom sowjetischen Diktator
Stalin in den 30er Jahren kannte. Unter Erdogan verloren
Hunderttausende türkische Offiziere, Richter, Staatsanwälte,
Polizisten, Professoren, Lehrer ihren Job. Tausende sitzen in Haft,
wo sie kaum auf rechtsstaatliche Verfahren hoffen können. Der
türkische Präsident ist drauf und dran, Demokratie, Gewaltenteilung
und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei vollends zu zertrümmern.
Offenbar betrachtet er die inhaftierten Deutschen als eine Art
Faustpfand: Liefert ihr nicht die Gülen-Anhänger aus Deutschland aus,
die dort Asyl beantragt haben, dann werden auch die Journalisten
nicht frei gelassen. Dass die Politik in Deutschland, zumal im
Wahlkampf, zu den Entwicklungen in der Türkei nicht schweigen kann,
liegt auf der Hand. Zu eng und zu vielfältig sind die Beziehungen
beider Länder. Wer klare Kante gegen Erdogan zeigt, etwa den Abbruch
der EU-Beitrittsverhandlungen fordert, kann sich des Beifalls in
Deutschland sicher sein. In der Tat reagiert Erdogan nicht auf
Beschwichtigungen, sondern nur auf Härte, auf politischen und
wirtschaftlichen Druck. Vor allem dann, wenn die EU-Staaten und die
USA im Fall des komplizierten Militärpartners Türkei einheitlich
vorgehen. Es ist falsch zu sagen, das Verhältnis Türkei-Deutschland
befinde sich auf einem Tiefpunkt. Erdogan und seine willfährige
AKP-Regierung graben jeden Tag tiefer. Gleichwohl braucht es in der
Türkei-Politik kühlen Kopf. Auf manche Beleidigung aus Ankara sollte
man gelassen oder gar nicht reagieren. Das ärgert den Macho Erdogan
noch mehr. Doch gleichzeitig dürfen die Gesprächsfäden in die Türkei,
die wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Kontakte und der
Tourismus nicht abgebrochen werden. Die Türkei ist so viel mehr als
Erdogan.
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