(ots) - Für die Bewerbung um die
Fußball-Europameisterschaft 2024 nehmen die deutschen Städte offenbar
die Verletzung von Grundrechten in Kauf. Der ehemalige Richter des
Bundesverfassungsgerichts Wolfgang Hoffmann-Riem hält Teile der
Verpflichtungserklärungen, die deutsche Bewerberstädte für die
Fußball-EM 2024 unterschrieben haben, für verfassungswidrig. Die
Verpflichtungserklärungen sichern der UEFA Sonderrechte zu, die zu
rechtswidrigen Grundrechtseingriffen führen könnten, erklärte er
gegenüber dem NDR.
Die UEFA hatte von den 14 deutschen Bewerberstädten
Verpflichtungserklärungen eingefordert und darin weitreichende
Zusagen abverlangt. Von den nun unterschriebenen Erklärungen können
die Städte nicht mehr zurücktreten. In einer sogenannten
"kommerziellen Zone" verpflichten sich die Städte beispielsweise, 500
Meter rund um die Stadien politische und religiöse Demonstrationen
generell zu unterbinden. Gegenüber dem NDR Politikmagazin "Panorama
3" und dem NDR "Sportclub" sagte Wolfang Hoffmann-Riem: "Das ist ganz
klar verfassungswidrig". Die Versammlungsfreiheit sei durch das
Grundgesetz und die europäische Menschenrechtskonvention geschützt.
"Versammlungen dürften dann verboten werden, wenn etwa
Gewalttätigkeiten drohen oder die öffentliche Sicherheit gefährdet
ist", so Hoffmann-Riem, "aber nicht, um kommerzielle Interessen eines
Fußballverbandes zu schützen oder unerwünschte Äußerungen zum Sport
pauschal zu verhindern." Die UEFA begründet die Forderungen an die
Bewerberstädte gegenüber dem NDR damit, dass "Sport und Politik nicht
vermengt werden sollten".
In weiteren Passagen der Verpflichtungserklärung mussten die
Bewerberstädte der UEFA zusichern, Gesetze zum Schutz von
UEFA-Vermarktungsrechten zu erlassen, sofern der Fußballverband die
bestehende Rechtslage vor Ort für unzureichend hält. Hoffmann-Riem:
"Eine Stadt kann sich durch den Bürgermeister oder durch einen
Senator nicht dazu verpflichten, ein bestimmtes Gesetz zu erlassen.
Das ist schon mal hoch problematisch, denn in einem gewaltenteilenden
Staat wie in Deutschland ist die Gesetzgebung Sache der Parlamente."
Auch für lokale Gewerbeleute könnte die Verpflichtungserklärung
zum Problem werden. Sie räumt den UEFA-Sponsoren weitreichende
wirtschaftliche Sonderrechte ein. So dürften Kneipen in der Nähe von
Stadien zum Beispiel keine Großleinwände aufbauen. Im NDR Interview
schätzt der ehemalige Verfassungsrichter Hoffmann-Riem dies als
"rechtswidrigen Grundrechtseingriff" ein, sollte die Stadt dies
durchsetzen. Schließlich sei die Berufsfreiheit des jeweiligen
Gewerbetreibenden im Grundgesetz geschützt, so Hoffmann-Riem.
Mit den Recherchen konfrontiert, erklären Hannover, Dortmund,
Düsseldorf, Köln und München, dass sie sich im Rahmen der
Bewerbungsreglements verpflichtet hätten, keine Aussagen zur
Bewerbung zu treffen. Berlin, Frankfurt und Gelsenkirchen ließen die
Fragen unbeantwortet. Der Hamburger Innen- und Sportsenator Andy
Grote erklärt im NDR Interview: "Alle Garantieerklärungen und alles,
was wir hier abgegeben haben, haben wir uns angesehen und wir halten
das für machbar." Hamburg unterschrieb die Verpflichtungserklärungen
ungeändert. Auch Leipzig erklärt, die Stadt sehe "keine Gefahren",
deshalb habe "Leipzig nach eingehender Prüfung ihre Verpflichtungs-
und Garantieerklärungen abgegeben." Nürnberg, Mönchengladbach und
Stuttgart antworteten auf die Frage zu den möglichen
Grundrechtsverletzungen ausweichend. So teilte die Stadt Stuttgart
beispielsweise mit, Spiele würden "nur im Rahmen des geltenden Rechts
erfolgen."
Nach Recherchen von "Panorama 3" und des "Sportclubs" hat
lediglich Bewerber Bremen "nach juristischer Prüfung" den
Originaltext umfassend angepasst, um ihn rechtssicher unterzeichnen
zu können. Dies betrifft im Kern die Einschränkungen von
Grundrechten. Ekkehart Siering, Staatsrat in der Bremer
Wirtschaftsbehörde, sagte dem NDR: "Wirtschaft allein kann keine
Gesetze außer Kraft setzen. Wir haben eine Rechtsordnung in
Deutschland, an die halten wir uns auch. Wir können an der Stelle
keine Ausnahme machen, weil es zum Beispiel besonders lukrativ sein
könnte. Gesetze gelten für alle."
Die UEFA wollte sich zu weiteren Fragen nicht äußern.
Als mögliche Spielorte hatte der Deutsche Fußball-Bund am
vergangenen Freitag (15. September) Berlin, Dortmund, Düsseldorf,
Frankfurt/Main, Gelsenkirchen, Hamburg, Köln, Leipzig, München und
Stuttgart ausgewählt. Bremen wurde nicht berücksichtigt, ebenso wenig
Hannover, Mönchengladbach und Nürnberg.
"Panorama 3": Dienstag, 19. September, 21.15 Uhr, NDR Fernsehen
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