(ots) - Stephen Paddock (64) brachte es über Nacht zur
Berühmtheit. Rund um die Welt verbindet jeder halbwegs aufmerksame
Zeitungsleser seinen Namen mit dem Massenmord kurz vor dem Finale
eines "Country-Festivals" am Südende des "Strips" in Las Vegas. Damit
bekommt er genau das, wonach alle Psychopathen gieren:
Aufmerksamkeit. Experten raten schon seit langem dazu, den Tätern
diesen Gefallen zu verweigern. Statt dem Rat zu folgen, bauen die
TV-Nachrichtenkanäle auch diesem Wahnsinnigen wieder die große Bühne
auf. Lustvoll berichten sie die grausigen Details: Wie der Mörder
vorging, welche Waffen er benutzte und wie er Position bezog.
Hemmungslos zerren die TV-Sender Menschen vor die Kameras, die sicht-
und hörbar noch unter Schock stehen. Von den Betroffenen selbst über
Angehörige, die ihre Lieben verloren haben, bis zu
Familienmitgliedern des Täters. Maximiert wird das öffentliche
Trauma, indem zapplige Handy-Videos in Endlosschleife das Grauen
dokumentieren, es zu einem Massenspektakel machen. All dies hat
weniger mit dem berechtigten Interesse der Öffentlichkeit an
Information zu tun als der Jagd nach Einschaltquoten. "If it bleeds
it leads" lautet das zynische Kalkül, das die Tage nach den
Massenmorden in den USA so unerträglich machen. Und in einer
TV-Routine münden lassen, die Nachahmer motiviert, einander zu
übertreffen. Paddock tötete die meisten Menschen, Adam Lanza
schockierte, weil er Grundschulkinder in Sandy Hook abschlachtete,
Dylan Roof, indem er in einer schwarzen Kirche von Charleston die
Teilnehmer eines Bibelkreises kaltblütig niedermetzelte. Der Umgang
mit dem Schrecken entwickelte sich seit dem Massaker an der Columbine
High School von Littleton 1999 zu einem folgenlosen Ritual, dessen
Drehbuch die Rollen klar verteilt. Der Präsident ruft zur Einheit
auf. Republikaner bieten Gebete an. Demokraten fordern strenge neue
Gesetze. Tränenreich berichten Betroffene vor laufenden Kameras von
dem erfahrenen Leid, Verlust und Horror, während Reporter atemlos das
Leben der Täter ausleuchten. Es gibt Helden und Anti-Helden. Nur
ändern tut sich am Ende nichts, weil die wirklich wichtigen Fragen
nicht mit der nötigen Hartnäckigkeit gestellt werden. Eine
funktionierende Öffentlichkeit nähme in dem einzigen Industrieland,
in dem Massaker auf der Tagesordnung stehen, die Ausreden von
Verantwortlichen nicht hin, die behaupten, so etwas sei einfach nicht
zu verhindern. Eine funktionierende Öffentlichkeit würde fragen,
warum es in den USA mehr Waffen als Einwohner gibt. Oder mehr
Amerikaner durch Gewehrkugeln daheim starben als in allen Kriegen
zusammen genommen? Oder warum die Mordrate mit Schusswaffen um das
20-fache der anderer Industrienationen liegt? Oder warum weiße Männer
überdurchschnittlich häufig die Täter sind? Es wäre schon viel damit
getan, Psychopathen wie Stephen Paddock posthum den großen Auftritt
zu verweigern. Zum Beispiel, indem die Namen der Täter zeitnah nicht
publiziert und ihre sozialen Medienkonten umgehend vom Netz genommen
werden. Niemand muss die Details ihres teuflischen Vorgehens
erfahren, um zu verstehen, was geschehen ist. Auch das schamlose
Vorführen der Betroffenen sollte aufhören. Weniger Boulevard würde
vielleicht dazu beitragen, zu begreifen, wie zynisch Emotionen
ausgebeutet werden. In ihrer Angst, selber Opfer zu werden, rüsten
die Amerikaner in den Tagen nach Massenschießereien traditionell auf.
Mit dem traurigen Ergebnis, dass sich an ihrer Obsession mit den
Waffen seit Jahrzehnten nichts geändert hat.
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