(ots) - Der Weihnachtsmarkt-Attentäter Anis Amri hätte
womöglich bereits etliche Monate vor dem Anschlag auf dem Berliner
Breitscheidplatz am 19. Dezember vergangenen Jahres abgeschoben
werden können.
Das belegen behördeninterne Dokumente, die dem Rundfunk
Berlin-Brandenburg (rbb) und der Berliner Morgenpost vorliegen.
Demnach verzögerte sich die Rückführung in Amris Heimatland Tunesien
immer wieder, weil die dortigen Behörden für das Ausstellen von
Ersatzausweispapieren nicht nur Fotos und Fingerabdrücke, sondern
Abdrücke der gesamten Handflächen verlangten. Solche Abdrücke lagen
dem Bundeskriminalamt (BKA) zwar bereits seit Juli 2015 vor. Die
Behörde versäumte es aber, sie den tunesischen Behörden vorzulegen.
Ein Eintrag in der Datenbank des BKA und der Polizeibehörden der
Bundesländer (INPOL) belegt, dass der spätere Attentäter Amri bereits
kurz nach seiner Einreise aus Italien am 6. Juli 2015 in Freiburg von
der dortigen Polizei erkennungsdienstlich behandelt wurde. Die
Beamten sicherten dabei auch Abdrücke seiner Handflächen und pflegten
diese in die INPOL-Datenbank ein. Bei einer Kontrolle im Februar 2016
sicherten auch Beamte der Berliner Polizei Amris Handflächenabdrücke
und speicherten diese ebenfalls in INPOL. Die Einträge aus der
Datenbank liegen dem rbb und der Berliner Morgenpost vor.
Als Beamte des BKA im Februar und im April 2016 in Tunis
Möglichkeiten für eine Abschiebung sondierten, legten sie den
dortigen Beamten lediglich Fingerabdrücke und Lichtbilder vor - nicht
aber die von Tunesien geforderten Handflächenabdrücke. Das bestätigte
das BKA dem rbb. Das Verfahren für Amris Abschiebung konnte deswegen
nicht weiter vorangetrieben werden. Der bereits damals als Gefährder
eingestufte Islamist konnte somit auch nach der rechtskräftigen
Ablehnung seines Asylantrag im Juni 2016 weiterhin in Deutschland
bleiben.
Am 30. Juli wurde er beim Versuch in die Schweiz auszureisen zwar
in Friedrichshafen von der Bundespolizei festgenommen. Aus der
Abschiebehaft musste er aber nach nur 48 Stunden wieder entlassen
werden, weil der Richter wegen der von Tunesien bis dahin nicht
bestätigten Identität Amris keine Chance für einen kurzfristigen
Vollzug der Abschiebung sah.
Der stellvertretende Vorsitzende des Parlamentarischen
Kontrollgremiums des Deutschen Bundestages, André Hahn (Linke),
spricht angesichts der offenbar in Vergessenheit geratenen
Handflächenabdrücke von Behördenchaos. "Das ist auf der einen Seite
Schlamperei, auf der anderen Seite offenkundig aber auch ein
strukturelles Versagen, wenn die eine Hand nicht weiß, was die andere
macht, wenn man nicht in eigene Computer hineinsieht und
entsprechende Daten dort vorfindet, die man eigentlich seit langem
sucht", sagte Hahn dem rbb.
Eine Sprecherin des BKA sagte auf Anfrage, das BKA sei nicht für
die Abschiebung Amris zuständig gewesen. Daher habe man die im
BKA-Computer vorhandenen Handflächenabdrücke auch nicht an die
zuständigen Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen weiter geleitet.
Die Ausländerbehörden hätten beim BKA auch nie nach den gewünschten
Handflächenabdrücken gefragt.
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