(ots) - Am Ende siegte die Vernunft. Falls die
Ausrufung und gleichzeitige Aussetzung der Unabhängigkeit Kataloniens
durch Regionalpräsident Carles Puigdemont nicht nur ein geschickter
Schachzug ist. Jedenfalls hat er in seiner Rede am Dienstagabend
sozusagen den Turm geopfert und damit zunächst Zeit gewonnen. Zeit,
um Springer und Läufer zu positionieren, die die Zentralregierung in
Zugzwang bringen sollen. Natürlich hat der seit Jahren schwelende und
jetzt offen ausgebrochene Konflikt zwischen Barcelona und Madrid rein
gar nichts von einem großen Spiel, in dem die Ratio eine feste Rolle
innehat. Was die Revolutionäre in Katalonien und die Hardliner in
Kastilien aufführen, sind vielmehr hochemotionale Szenen einer Ehe -
kurz vor der Scheidung. Diese scheint unausweichlich zu sein.
Puigdemont hat vor dem alles entscheidenden Schritt pro forma nur
noch eine Mediation gefordert - die am Ergebnis aber nichts ändern
wird. Auch wenn er die in der Vergangenheit bereits mehrfach
vorgeschlagen hat, wirklich gewollt war diese Vermittlung nie.
Vielmehr scheint er sie zuletzt aber für nötig befunden haben, um dem
Eigenleben ein Ende zu bereiten, das die Krise inzwischen entwickelt
hat. Dies hat nämlich unter anderem dazu geführt, dass mehr als 20 in
Barcelona ansässige Großkonzerne und Banken für den Fall der
Unabhängigkeit ihren Abzug angekündigten. Damit aber würde die
wirtschaftsstärkste Region Spaniens vermutlich ihren Wohlstand
einbüßen. Jenen Wohlstand, der einer der Gründe dafür ist, dass
Katalonien gegenüber Rest-Spanien die Muskeln spielen lassen kann.
Schließlich werden in dem Landstrich am Mittelmeer 20 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, womit Katalonien für Spanien in
etwa so wichtig ist wie Bayern für Deutschland (BIP-Anteil ca. 18
Prozent). Dies ist übrigens nicht die einzige Gemeinsamkeit mit dem
Freistaat. Auch in Bayern spricht man bisweilen eine (etwas) andere
Sprache, auch in Bayern gibt es Separatisten, die sich - wenngleich
an ein paar Händen abzählbar - ebenfalls auf verfassungsrechtlich
fragwürdigem Terrain bewegen. Auf die Verfassung, die spanische aber,
beruft sich auch Ministerpräsident Mariano Rajoy, der im
Katalonien-Konflikt bislang mindestens unglücklich bis unflexibel
agiert und mit drakonischen Reaktionen dafür gesorgt hat, dass die
Schar der Unabhängigkeitsbefürworter zuletzt größer wurde. Natürlich
hat er das Recht auf seiner Seite. Und natürlich kann er den
Katalanen jederzeit ihren Autonomiestatus entziehen - wenn er den
politischen Mut dazu hat. Die Sackgasse, in der er steckt, ist
trotzdem noch immer dieselbe wie an den Tagen vor dem Referendum in
Katalonien. Als Spaniens Regierungschef darf er Barcelona nämlich gar
nicht nachgeben und die Abspaltung zulassen. Denn, fällt Katalonien,
wird auch das Baskenland nach völliger Unabhängigkeit rufen. Und
danach käme wohl Galicien, das die Vorgänge momentan aufmerksam
beobachtet, mit identischen Forderungen. Spanien würde in viele
Kleinstaaten zersplittert - wie damals im ausgehenden Mittelalter. So
weit, bis zum Französisch-Spanischen Krieg, reicht der Separatismus
auf der Iberischen Halbinsel zurück, der erst viel später, im Jahr
1714, ein jähes Ende fand. Damals wurde Katalonien von König Philipp
V. eingenommen und dafür bestraft, dass es im Spanischen
Erbfolgekrieg auf der falschen Seite gestanden war. Damals verlor die
Region auch erstmals ihre langjährige Selbstverwaltung - durch einen
Spanier! Aus diesem Grund wird bei Heimspielen des FC Barcelona im
Stadion Camp Nou auch immer nach 17 Spielminuten und 14 Sekunden vom
Publikum mit Protestgesängen an die (damals verlorene) Unabhängigkeit
erinnert - wenn Real Madrid gastiert umso lauter. Die Meinung der
Mehrheit der Katalanen wird spätestens immer dann unüberhörbar. Und
dieser Mehrheit auf Dauer das Recht zu verweigern, über ihr eigenes
Schicksal zu entscheiden, wird schwierig werden. Nachdem die
Regierung in Madrid nicht zum Einlenken bereit ist und - völlig
undemokratisch - sogar Gespräche verweigert, kann sich die
Europäische Union schwerlich länger aus dem Konflikt heraushalten und
darauf beharren, dass es sich um eine innere Angelegenheit Spaniens
handelt. Mit Aufrufen zum Dialog ist es nicht mehr getan.
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