PresseKat - Mittelbayerische Zeitung: "Es gibt kein Zurück" / Kommentar zu "Jamaika-Sondierungen

Mittelbayerische Zeitung: "Es gibt kein Zurück" / Kommentar zu "Jamaika-Sondierungen"

ID: 1545749

(ots) - Im Moment plustern sich die vier
Jamaika-Parteien auf, als sei noch Wahlkampf oder demnächst wieder.
Noch sondieren sie offenbar nicht allein mit dem Ziel, einen Konsens
zu finden, sondern mindestens gleichzeitig auch mit dem Ziel, nicht
schuld an einem möglichen Scheitern zu sein. Davon zeugen die
Vorfestlegungen in Interviews vor den Treffen. Ebenso die
nachträglichen unterschiedlichen Interpretationen, wenn dann endlich
etwas beschlossen wurde, auch wenn das kaum mehr als ein
Allgemeinplatz war. Oder die munteren Durchstechereien gegenüber
Journalisten. Wer immer auf Neuwahlen spekuliert, die die
unausweichliche Folge eines Scheiterns wären, sollte einen Blick auf
die jüngsten Umfragen werfen: Einen Monat nach der Bundestagswahl
kommen die vier größten Meinungsforschungsinstitute übereinstimmend
zu dem Ergebnis, dass die Bürger heute ziemlich exakt so abstimmen
würden wie am 24. September. Und zwar in Kenntnis der Tatsache, dass
nur noch ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen geht. Das
Wahlverhalten war also Absicht, kein Versehen. Daher kann man sich
gut vorstellen, wer bei möglichen Neuwahlen profitieren würde: Alle,
die in der Opposition sind, vor allem die AfD. Das Zweite ist: Der
bisherige Sondierungsprozess selbst hat die Erwartungen noch
vergrößert. Jedes fröhliche Bild auf dem Balkon der Parlamentarischen
Gesellschaft hat dazu beigetragen. Aber auch das Abstimmungsverhalten
bei der konstituierenden Sitzung des Bundestages in der
zurückliegenden Woche, als die neue Koalition bereits hielt. Auch
Eindrücke sind Fakten. Ein Zurück ist derzeit kaum noch vorstellbar.
Wenn Neuwahlen keine Option sind, ist es nur der Kompromiss. Bei so
unterschiedlichen Kräften ist es allerdings keine Lösung, dass man
krampfhaft Kompromisse auch dort sucht, wo man sich diametral
gegenüber steht. Das wäre Konsenssoße. Vielmehr müssen die Partner




sich gegenseitig auch Siege gönnen, wenigstens kleine. Und zwar dort,
wo es um ihre Identitäten geht. Die Grünen zum Beispiel können keiner
Politik zustimmen, die die Klimaziele nicht praktisch umsetzt. Ein
verbindlicher Plan dazu wird ihr Mindestpreis sein. Der Kohleausstieg
kann dazu gehören, muss es aber nur begrenzt, wenn es andere Wege
gibt. Die aufzuzeigen, wäre jetzt die Aufgabe von Union und FDP. Auch
wenn es wehtut. Die CSU kann es nicht hinnehmen, wenn den Bürgern die
Angst vor einer Wiederholung des Flüchtlingszustroms von 2015 nicht
genommen wird. Die starke Begrenzung des Familiennachzugs kann dazu
gehören, muss es aber nicht, wenn das Gesamtpaket - von Abschiebungen
bis sichere Herkunftsländer - stimmt. Hier müssten die Grünen sich
bewegen. Auch wenn es wehtut. Die FDP braucht den Abbau des
Solidaritätszuschlages als Mindestmaßnahme zur steuerlichen
Entlastung der Bürger. Aber sie muss akzeptieren, wenn davon zunächst
nur die kleinen und mittleren Einkommen profitieren. Auch wenn es
wehtut. Das sind die Hauptstreitpunkte. Sie sind schwierig, aber
Lösungen sind denkbar. Die Bürger erwarten gar nicht, dass jeder
komplett durchsetzt, was er im Wahlkampf gefordert hat. Sie erwarten,
dass bald wieder regiert wird. Die beteiligten Parteien sollten sich
zudem klarmachen, dass Jamaika keine Heirat auf ewig ist. Es ist nur
ein Bündnis für vier Jahre. Manche Forderung kann man sich auch
aufheben für 2021. Die Wähler werden das eher verstehen als ein
Scheitern jetzt.



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Datum: 27.10.2017 - 18:30 Uhr
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