(firmenpresse) - Düsseldorf - Die Diskussion über Wirtschaftsreformen geht weiter. Fast im Wochentakt erscheinen neue Bücher, die Titel wie "Das Ende der Sozialen Marktwirtschaft" oder "Der neue deutsche Kapitalismus" tragen. Das Düsseldorfer Beratungshaus Harvey Nash nutzte daher die Eröffnung seiner Deutschlandzentrale im GAP15 hoch über den Dächern von Düsseldorf, um vor rund 200 geladenen Gästen über das Thema "Deutschland - Was nun?" zu diskutieren.
In seiner Begrüssungsansprache machte Harvey-Nash-Geschäftsführer Udo Nadolski deutlich, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für eine solche Debatte gekommen sei: "Die neue Regierung hat ihre Schonfrist hinter sich und ist seit über 100 Tagen im Amt. Die Stimmung in der Bevölkerung und in den Medien hat sich zum Positiven gewandelt. Doch an der tatsächlichen Lage hat sich nach Ansicht von Experten wenig geändert. Die grossen Reformen in der Arbeitsmarkt-, Renten-, Steuer- und Sozialpolitik fielen bisher aus."
Harvey Nash und der Mitveranstalter American Chamber of Commerce hatten zwei Referenten gewinnen können, die den Standort Deutschland aus zwei verschiedenen Blickwinkeln ins Visier nahmen. In seinem Vortrag "Das Glas ist halb leer - Deutschland am Scheideweg" legte Professor Dr. Michael Eilfort, Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft, den Finger in die Wunden der ökonomischen Versäumnisse. Deutschlands drängendstes Problem sei die Senkung der sehr hohen Arbeitslosigkeit. "Bisher hat die Bundesregierung ihr Soll noch nicht erfüllt", so der Vorsitzende des Berliner Thinks Tanks und Ideengeber der neuen Bundesregierung. "Sowohl im Hinblick auf die angestrebte Beitragssatzsenkung in der Arbeitslosenversicherung als auch hinsichtlich einer effizienzorientierten Arbeitsmarktpolitik ist das gegenwärtige Niveau deutlich zu hoch und die Ausgestaltung vieler Instrumente und Sonderregelungen höchst unbefriedigend."
Eilfort forderte die Bundesregierung auf, auch noch einmal die geplante Mehrwertsteuererhöhung zum 1. Januar 2007 zu überdenken. Sie könnte sich als Gift für die Konjunktur und die Stimmungslage in Wirtschaft und Bevölkerung erweisen. Ausdrücklich begrüsste der Redner, dass die schwarz-rote Koalition in dieser Legislaturperiode einen neuen Anlauf zum Subventionsabbau vornehmen wolle: "Das Ausmass der Finanzhilfen und Steuervergünstigungen ist beachtlich, der damit verbundene Wildwuchs ebenfalls. Viele Subventionen sind gesamtwirtschaftlich nicht gerechtfertig. Sie stören die Funktionsfähigkeit der Marktwirtschaft, hemmen den Strukturwandel, reduzieren das Wirtschaftswachstum und vernichten Arbeitsplätze." Deutschland leide unter einer sozialen Staatswirtschaft mit abnehmenden Privatanteil. "Die Besitzstandswahrung darf nicht mehr Ziel der Reformpolitik sein. So haben sich Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II von der Ausnahme zur Daueralimentierung entwickelt. Das kann sich kein Staat leisten. Die Leistungen für Nichtarbeit müssen abgesenkt werden. Dieser Notfalldienst darf auch nicht unbefristet gelten", forderte Eilfort.
Anschliessend war es dann an Dr. Peter Tibber, Generalkonsul und Direktor der britischen Wirtschaftsförderung in Deutschland, einen Blick durch die britische Brille zu wagen. Ohne weitere Wirtschaftsreformen, so der Diplomat, drohe Europa im globalen Wettbewerb weiter zurückzufallen: "Niedrige Wachstumsraten und rund 22 Millionen Arbeitslose seien der Beleg dafür, dass Europa nicht funktioniert. Um nicht den Anschluss an die USA oder aufstrebende Länder in Fernost wie China und Indien zu verlieren, brauchen wir höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung, mehr Geld für Bildung und flexiblere Arbeitsmärkte."
Laut Tibber bedeuten Grossbritanniens Vorschläge für weitergehende Wirtschaftsreformen keineswegs das Ende des europäischen Sozialstaats. Liberalisierung und Deregulierung seien die Voraussetzung für das anhaltend hohe Wirtschaftswachstum in Grossbritannien gewesen. Und nur dadurch habe man Sozialleistungen nicht nur erhalten sondern sogar ausweiten können. Er sei zuversichtlich, dass auch Deutschland den Weg marktwirtschaftlicher Reformen weitergehen werde.