(ots) - Auch Gustav Heinemann und Roman Herzog
brauchten drei Wahlgänge. Und gaben respektable Präsidenten ab.
Insofern könnte das, was gestern in der Bundesversammlung geschah,
ein normaler demokratischer Vorgang sein. Ist es aber nicht. Denn
durch das unpassende Spektakel im Vorfeld und den daraus
resultierenden drei Wahlgängen ist das höchste Amt im Staat
beschädigt und Christian Wulffs künftiges Wirken belastet. Mindestens
vier Punkte sind gründlich schief gelaufen: 1. Der Trend, dass die
Kandidaten Wahlkampf führen, hat sich diesmal noch verstärkt. Ein
solches Schaulaufen ist des Amtes unwürdig. 2. Von den Delegierten
wurde - obwohl nicht erlaubt - Parteidisziplin verlangt. Dass sich
viele nicht daran hielten, spricht für sich. 3. Generell war die Wahl
zu sehr von Parteitaktik geprägt. Es schien mehr um den Fortbestand
der Koalition als um das höchste Staatsamt zu gehen. Erhebliche
Schuld an dieser fatalen Entwicklung trägt Angela Merkel, die
vorschnell Wulff zum bürgerlichen Kandidaten machte. 4. Auch Wulff
beging einen Fehler, als er nicht bereit war, rechtzeitig als
Ministerpräsident Niedersachsens zurückzutreten. Sein hasenfüßiges
Signal wirkt fatal: Ich bin selbst nicht von meinem Sieg überzeugt.
Was bedeutet der gestrige Tag für die Bundesregierung? Angela Merkel
wird wohl versuchen, zur Normalität zurückzufinden und sich nicht der
Aufarbeitung des Geschehenen stellen. Doch die Vermutung, dass vor
allem FDP-Abgeordnete Wulff und damit der Kanzlerin die Gefolgschaft
in zwei Wahlgängen demonstrativ verweigerten, kann man nicht nur als
Sympathieerklärung für Gauck abtun. Das ist eine Ohrfeige für Merkel.
Ihre Strategie, potenzielle Rivalen innerhalb der Union wie Merz,
Koch, in gewissem Sinne auch Guttenberg und jetzt Wulff mit ganz
unterschiedlichen Mitteln auszuschalten, rächt sich. Erstmals hat sie
damit nicht nur der Partei geschadet, sondern deutlich sich selbst.
Das Amt hat Schrammen. Christian Wulff ist schon zum Start sehr
geschwächt. Er wird es sehr schwer haben, als Präsident die nötige
Autorität zu gewinnen. Denn die gründet sich ausschließlich auf die
Persönlichkeit des laut Grundgesetz machtlosen Inhabers. Dennoch:
Wulff besitzt genug Potenzial, um ein guter Präsident zu werden.
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