PresseKat - Neue Westfälische (Bielefeld): Neue Westfälische, Bielefeld: KOMMENTAR Wahl des Bundespräsidenten

Neue Westfälische (Bielefeld): Neue Westfälische, Bielefeld:

KOMMENTAR

Wahl des Bundespräsidenten

Debakel für Merkel

CARSTEN HEIL

ID: 220058

(ots) - Wir sind das Volk. Deshalb ist es gut, dass
Christian Wulff als neuer Bundespräsident keinen glatten Durchmarsch
in der Bundesversammlung hingelegt hat. Denn die Mitglieder dieser
Versammlung, die einzig zu dem Zweck zusammenkommt das
Staatsoberhaupt zu wählen, sind laut Grundgesetz frei in ihrer
Entscheidung, keinem Koalitionszwang unterworfen. Und in der
Bevölkerung hat Wulffs Gegenkandidat Joachim Gauck allen Umfragen
zufolge mehr Rückhalt als der Polit-Profi aus Niedersachsen. Die
Bundesversammlung hat sich jedenfalls nicht widerstandslos dem kalten
machtstrategischen Politikmanagement von Kanzlerin Angela Merkel
gebeugt. Schlecht am Wahlverhalten der Versammlung ist jedoch, dass
einige der Wulff-Verweigerer nicht aus Überzeugung für Gauck gestimmt
haben, sondern weil sie mit der Politik Merkels und ihrer eigenen
Bundesregierung nicht zufrieden sind. Sie haben damit das Hohe Haus
genauso instrumentalisiert, wie Merkel es erfolglos versucht hat. Die
Kanzlerin ist deshalb die wahre Verliererin des Tages. Sie ist nach
dem gescheiterten ersten Wahlgang vor ihre Leute getreten und hat ihr
ganzes Gewicht in die Waagschale geworfen. Wenn Wulff nicht gewählt
würde, sei es ein großer Schaden für die Regierungskoalition,
argumentierte sie. Merkel muss feststellen: Sie hat kein Gewicht, ihr
Wort gilt nicht mal in den eigenen Reihen so viel, dass sich Union
und FDP hinter dem eigenen Kandidaten versammeln. Merkel fehlt die
Überzeugungskraft. Eine Kanzlerin, der diese Fähigkeit fehlt, kann
nicht führen, kann ihre Richtlinienkompetenz nicht ausüben. Sie ist
am Ende. Früher oder später. Hinzu kommt, dass in den kommenden
Wochen und Monaten - wenn Schwarz-Gelb diese Zeit überhaupt noch
bleibt - tiefes Misstrauen in der Koalition herrschen wird. Niemand
weiß, aus welcher Partei diejenigen kommen, die Wulff ihre Stimme




versagt haben. Sofort hoben gegenseitige Schuldzuweisungen an. Das
ist kein Klima, in dem gedeihliche Regierungsarbeit möglich ist. Und
das nach der langen Reihe von Streitereien und Misserfolgen. Und
Bundespräsident Christian Wulff? Der ist nicht beschädigt. In der
deutschen Geschichte gab es mehrere Bundespräsidenten, die erst im
dritten Wahlgang gewählt wurden. Das kommt in einer Demokratie vor.
Später wurden sie trotzdem respektable und beliebte
Staatsoberhäupter. Roman Herzog ist ein Beispiel. Wulff startet zwar
mit einer Hypothek in seine Amtszeit, ist aber Profi und
Persönlichkeit genug, das Defizit schnell auszugleichen. Es ist in
seiner Hand, sich von Merkel zu emanzipieren, der Politik bei Bedarf
Kritisch-Konstruktives zu sagen. Letztlich ist er jedoch von Gnaden
oder wegen der Starrsinnigkeit der Linken zum Bundespräsidenten
gewählt worden. Hätten die sich rechtzeitig für den Bürgerrechtler
aus Ostdeutschland entschieden, wäre der höchst respektable Joachim
Gauck Staatsoberhaupt der Deutschen geworden.



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Datum: 30.06.2010 - 21:28 Uhr
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