(ots) - So ganz lässt sich die Herkunft nie verleugnen.
40 000 Fußballfans mit türkischen Wurzeln jubeln der türkischen
Nationalmannschaft in Berlin zu und pfeifen Mesut Özil aus. Deutsche
Einwanderer in Australien feuern vor dem Fernsehschirm gemeinsam die
deutsche Elf an. Beide Volksgruppen besitzen den Pass ihres neuen
Heimatlandes und bleiben im Herzen doch dem Land ihrer Väter treu.
Und doch gibt es Unterschiede: Vielen türkischen Zuwanderern fällt es
schwer, sich mit dem Land, das sie aufgenommen hat, zu
identifizieren. Ihre Beziehung zu Deutschland ist schwierig und
anstrengend. Unzufriedenheit und Spannungen sind die Folge. Ein
Grund für diese Konflikte kann das Problem mancher Deutscher mit der
eigenen Identität sein. Uns fällt es schwer, uns zu lieben. Wir haben
Probleme damit, auf unser Land stolz zu sein und unser politisches
System und unsere Kultur zu schätzen. Politikverdrossenheit und
Zynismus kommen nicht von ungefähr. Nicht wenige Besucher erhalten
von Deutschen den Eindruck, sie seien skeptisch, kritisch und
unzufrieden. Mehr als die Hälfte der Deutschen lehnt das eigene
politische System ab - warum auch immer. Die negative
Selbsteinschätzung hat Konsequenzen: Neubürger, die sich bei uns
wohlfühlen sollten, sind verunsichert. Während Einwanderer in den USA
stolz und glücklich sind, im »Land der Freiheit« anzukommen,
herrschen in Deutschland zu viel Skepsis und Unverständnis. Weil die
Amerikaner Patrioten sind, überträgt sich ihr positives
Selbstwertgefühl auf die Neubürger. Die Amerikaner machen es ihren
Immigranten also leicht, sich mit dem neuen Land zu identifizieren.
Wir tun das nicht. »Es ist ein großes Glück, Türke zu sein«, heißt es
am Bosporus. Doch wo sind die glücklichen Deutschen? Wer bekennt sich
offen dazu, dass Deutschland - vor allem im Vergleich zu anderen
Ländern - weitestgehend frei, wohlhabend, politisch stabil, sozial
gerecht und kulturell reich ist? »Nationalstolz ist für ein Land
dasselbe wie Selbstachtung für den Einzelnen«, schreibt der
links-liberale amerikanische Philosoph Richard Rorty. Die Türken
wissen das - ihr Nationalstolz ist Ausdruck ihrer Selbstachtung. Wir
wissen das nicht. Zumindest viele Medien und Politiker nicht. Die
türkischen Bürger befinden sich in einem Dilemma: Sie würden sich
hier gern wohlfühlen, doch wir verhindern das. Wer sein eigenes Land
nicht achtet, fördert das kollektive Selbstwertgefühl nicht. Wer
Politikverdrossenheit propagiert, die Leitkultur demoliert, die
Bildung missachtet und den Patriotismus verhöhnt, behindert die
Integration der Neuankömmlinge. Immigranten müssen selbstverständlich
unsere Sprache lernen, unsere Verfassung achten und unsere Werte
respektieren. Das setzt aber voraus, dass wir das ebenfalls tun. Wenn
wir unsere Werte ständig in Frage stellen, rückt das Ziel der
Integration in weite Ferne.
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