PresseKat - Was trieb die Justizministerin bei ihrer Zustimmung zu längeren AKW-Laufzeiten?

Was trieb die Justizministerin bei ihrer Zustimmung zu längeren AKW-Laufzeiten?

ID: 294639

(ots) -
Pressemitteilung

Mit erstaunlicher Begründung lehnt Justizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) Akteneinsichtsbegehren der
Deutschen Umwelthilfe ab - Angeblich "Funktionsfähigkeit der
Bundesregierung" gefährdet - DUH legt Widerspruch ein - Kehrtwende
von Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger bei Laufzeitenfrage nach
wie vor im Dunkeln - Druck von Parteichef Westerwelle entscheidend?#

Eine unvermittelte Kehrtwende von Justizministerin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vor der Entscheidung über die bis
zu 14-jährige Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke gab
von Anfang an Rätsel auf. Die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH)
verlangte Aufklärung auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes,
IFG. Nun hat die Ministerin das DUH-Begehren mit der Begründung
abgelehnt, im Fall der Herausgabe der Akten bestehe die "Gefahr einer
Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Bundesregierung". Die DUH
legt Widerspruch ein und will notfalls die Gerichte bemühen. Es geht
um eine bisher ungeklärte Merkwürdigkeit im an Merkwürdigkeiten nicht
raren Entscheidungsprozess der Bundesregierung zu den
Reaktorlaufzeiten.

Im Einzelnen: Mitte August hatte sich das Justizministerium auf
maximal zwei Jahre und vier Monate als "moderate" und in der
Konsequenz nicht im Bundesrat zustimmungspflichtige
Laufzeitverlängerung der alternden Meiler festgelegt. Zwei Wochen
später jedoch stimmte die Verfassungsministerin plötzlich einer
Laufzeitverlängerung von bis zu 14 Jahren zu - also einer immerhin
sechsmal längeren Frist. "Wir wollen wissen, was Frau
Leutheusser-Schnarrenberger zu diesem spektakulären Kurswechsel
veranlasst hat", sagt DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. "Gab es
eine neue verfassungsrechtliche Bewertung in ihrem Haus? Dann muss es
dazu Akten geben." Nach der Wende im Justizministerium hatte es in




der Öffentlichkeit Spekulationen gegeben, die Ministerin, die nicht
als glühende Verfechterin der Laufzeitverlängerung galt, sei von
ihrem Parteivorsitzenden, Außenminister Guido Westerwelle, unter
Druck gesetzt worden.

Einerseits argumentiert das BMJ nun in seinem Ablehnungsbescheid des
DUH-Begehrens, die Vorbereitung einer Gesetzesvorlage sei nicht
Verwaltungs-, sondern Regierungstätigkeit und unterliege deshalb
nicht dem Informationsfreiheitsgesetz. Dies sei "mit dem Willen des
Gesetzgebers schwerlich vereinbar", erklärt dazu die DUH und zitiert
aus der Gesetzesbegründung Eindeutiges: "Die Vorbereitung von
Gesetzen in den Bundesministerien als wesentlicher Teil der
Verwaltungstätigkeit fällt ebenfalls in den Anwendungsbereich des
Informationsfreiheitsgesetzes".

Andererseits sei die "Funktionsfähigkeit der Bundesregierung"
gefährdet, argumentiert das BMJ weiter, weil der so genannte
"Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" berührt werde. Dabei
handelt es sich um jenen ungeschriebenen verfassungsrechtlichen
Ausnahmegrund, der auch für die Nachforschungen parlamentarischer
Unersuchungsausschüsse tabu ist. Deshalb prüft die DUH in ihrem
Widerspruch, ob die von ihr begehrten Dokumente im Rahmen eines
solchen Ausschusses offenbart werden müssten. Klares Ergebnis: Ja,
sie müssten. Denn die Gesetzesvorbereitung ist nach einschlägigen
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich nur in
laufenden Verfahren geschützt, nicht aber wenn sie abgeschlossen
sind. Das ist aber hier der Fall, denn nach dem Kabinettsbeschluss
vom 28. September übergab die Bundesregierung die Gesetzesvorlage zur
Laufzeitverlängerung (Elftes Änderungsgesetz zum Atomgesetz)
ausdrücklich als so genannte Formulierungshilfe den Fraktionen von
Union und FDP. Für die Bundesregierung war das Verfahren damit
abgeschlossen und allein der Deutsche Bundestag als Legislative
entschied über die Zukunft der Altreaktoren. Bezeichnenderweise lässt
es das BMJ in seinem Ablehnungsbescheid auch an jeglicher, nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebotenen
Einzelfallprüfung fehlen. Die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit
der Regierung wird pauschal behauptet, aber in keiner Weise unter
Bezugnahme auf die konkret von der DUH angefragten Dokumente geprüft.
Das ist mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vereinbar.

"Insgesamt ist die Ablehnung der Einsichtnahme juristisch schwer
nachvollziehbar", erklärt die Leiterin Energiewende und Klimaschutz
der DUH und Autorin des Widerspruchs, Rechtsanwältin Cornelia Ziehm.
"Die Akten müssten einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss
vorgelegt werden und das ist der Maßstab auch für
Informationsbegehren auf der Grundlage entsprechender
Informationsgesetze".

Jenseits der juristischen Auseinandersetzung sei es "sehr bedenklich,
dass die Bundesregierung sich mit Händen und Füssen gegen die
Offenbarung von Entscheidungen wehrt, die doch angeblich von hoher
Sachlichkeit geprägt waren. Man fragt sich: Was gibt es da zu
verbergen?". Ausdrücklich weist Ziehm darauf hin, dass auch
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) der Regierung vorgeworfen
habe, die Entscheidung über die Laufzeitverlängerung sei eben gerade
nicht durch sachliche Argumente begründet, sondern entspringe einem
Verhandlungsprozess. Lammert habe auch keine Zweifel gelassen, dass
er die Atomgesetznovelle für zustimmungspflichtig halte.

Den DUH-Widerspruch an das Jusitzministerium finden sie unter
http://www.duh.de/uploads/media/BMJ_Widerspruch_111110.pdf



Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin; Mobil: 0151 55016943, Tel.: 030 2400867-0,
E-Mail: baake(at)duh.de

RA´in Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Energiewende und Klimaschutz,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0,
Mobil: 0160 94182496, E-Mail: ziehm(at)duh.de

Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik und Presse, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0, Fax: 030 2400867-19,
Mobil: 0171 5660577, E-Mail: rosenkranz(at)duh.de


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