(ots) - Das Bundeslandwirtschaftsministerium lässt trotz
heftiger Kritik von Opposition und Datenschützern unkontrollierten
Medikamenteneinsatz in der Massentierhaltung zu. Die stellvertretende
Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzende Bärbel Höhn spricht im
Radioprogramm bei NDR Info von einem Skandal. Datenschützer
bezeichnen die Begründung für zahlreiche Ausnahmen in der
entsprechenden Bundesverordnung als nicht einleuchtend und
unverhältnismäßig. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter
Schaar, will nun die rechtlichen Grundlagen prüfen. Das Ministerium
hatte NDR Info mitgeteilt, dass der Datenschutz Grund für die
Ausnahmen bei der Medikamentenkontrolle sei. Zu starker Einsatz von
Antibiotika kann bei Menschen dazu führen, dass sich resistente
Stämme bilden, die Mittel also im Falle einer Krankheit nicht mehr
wirken. Nach Angaben des bundeseigenen Robert-Koch-Instituts in
Berlin sterben jährlich mehr als 15.000 Menschen in Deutschland an
multiresistenten Keimen.
Eigentlich sollte durch eine neue Datei von 2011 an kontrolliert
werden, wohin wie viele Antibiotika geliefert werden - unter anderem
durch eine Angabe der vollständigen Postleitzahl des verordnenden
Tierarztes. Nach langer Diskussion über die entsprechende
Bundesverordnung müssen jetzt generell nur noch die ersten beiden
Ziffern der Postleitzahl erfasst werden. Der Geflügel-Bereich ist von
der Kontrolle sogar ganz ausgenommen. Auf Anfrage von NDR Info
begründete das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz die Ausnahmen mit dem Datenschutz. Tierärzte und
Mäster wären sonst zu leicht zu identifizieren. Das gelte besonders
für Geflügel - mehr als die Hälfte der Produzenten sind in
Niedersachsen ansässig. Ein Hörfunkinterview mit NDR Info lehnte das
Ministerium ab.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes, Peter Schaar, und des
Landes Schleswig-Holstein, Thilo Weichert, verlangen nun Aufklärung
vom Ministerium. Schaar sagte NDR Info, in diesem Fall sei der
Verbraucherschutz wichtiger als der Datenschutz. "Hier gibt es ein
überwiegendes Allgemeinwohlinteresse, das die Preisgabe nicht nur der
Postleitzahl, sondern auch des Tierarztnamens rechtfertigen würde",
ergänzte Weichert, der die Argumentation des Ministeriums als
"Unsinn" bezeichnete. Ein Tierarzt, der einen derartigen Einfluss auf
die Vergabe von Medikamenten habe, müsse natürlich mit seinem Namen
dafür einstehen und sich kontrollieren lassen. Zudem würden die Daten
in einer geschützten Datei gespeichert, die nicht öffentlich
zugänglich sei. "Das Bundeslandwirtschaftsministerium riskiert die
Gesundheit Tausender Deutscher. Es gibt eine direkte und akute
Gefährdung von Menschen", kritisierte die Vize-Vorsitzende der
Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzende der Grünen, Bärbel Höhn, im
Gespräch mit NDR Info. Der massenhafte Einsatz von Antibiotika führe
dazu, dass jährlich mehr als eine halbe Millionen Menschen an
multiresistenten Keimen erkrankten, so Höhn. Das Ministerium sei vor
der Fleisch-Lobby eingeknickt: "Das ist doch logisch, wer dahinter
steckt - nämlich die Geflügelbranche, die hat da gute Arbeit
geleistet. Daran hat doch sonst kein anderer Interesse", so die
ehemalige Verbraucherschutzministerin von Nordrhein-Westfalen.
Der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft bestätigt,
dass die neue Datei nicht direkt zur Erfassung von Arzneimitteln
dienen kann. Dies sei Aufgabe von Geflügelhaltern und Mästern mit der
bestehenden internen Dokumentationspflicht. Den Vorwurf, Druck auf
die Politik ausgeübt zu haben, weist der Verband entschieden zurück.
Experten empfehlen seit Jahren, die Warenströme von Medikamenten zu
dokumentieren. So heißt es in dem Antibiotika Resistenz-Atlas
"Germap" 2008 des Bundesamtes für Verbraucherschutz, dass kein
Interesse der Geflügelproduzenten bestehe, "an einem freiwilligen
nationalen Resistenzmonitoring teilzunehmen. Hier scheinen
gesetzliche Regelungen notwendig, die die Betroffenen zur Teilnahme
verpflichten."
Anfang des Jahres hatte der Bundesrat der Verordnung über das
datenbankgestützte Informationssystem über Arzneimittel des Deutschen
Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI)
zugestimmt. Durch die Verordnung sollten ursprünglich u. a.
Warenströme vom Pharmahersteller über den Großhändler zum Tierarzt
transparent gemacht werden. Bislang gibt es keine detaillierten
Zahlen über den Medikamenteneinsatz in der Nutztierhaltung.
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