(ots) -
Anmoderation:
"Deutschland im Alarmzustand" - so die großen Schlagzeilen heute
Morgen (Fr., 19.11.) am Zeitungskiosk. Die Terror-Warnung der
deutschen Behörden zeigt: Es gibt offenbar konkrete Anschlagspläne
von Extremisten. Auch ZDF-Terror-Experte Elmar Theveßen sagt: So
viele Hinweise auf mögliche Anschläge in Deutschland gab es noch nie.
Er warnt aber dennoch vor Panik und Hysterie - und hinterfragt die
Informationspolitik der Regierung.
Interview mit Elmar Theveßen:
1. Herr Theveßen, "Deutschland im Alarmzustand" - ist die Lage
wirklich so dramatisch? Also wir haben in den letzten 18 Monaten so
viele Hinweise bekommen von Sicherheitsbehörden - und die wiederum
aus verschiedensten Quellen - darauf, dass Anschläge in Deutschland
ausgeführt werden sollen. Die Hinweise kommen aus der elektronischen
Überwachung, Abhören von E-Mails und Telefonaten, auch von
Informanten der Geheimdienste und von festgenommenen Personen, die
dann verhört worden sind. Und es ist so eine Vielzahl von Hinweisen,
die übereinstimmen, dass hier Anschläge geschehen sollen, dass die
Sicherheitsbehörden das sehr ernst nehmen. In der Tat ist das eine
gefährliche Lage, und deshalb wird die Öffentlichkeit um
Aufmerksamkeit gebeten. (0:35)
2. Der Chef der Bundespolizei sagt: Die Gefahr ist ernster als je
zuvor. Sehen Sie das auch so? Ich würde das teilen. Aus der Erfahrung
der letzten zehn Jahre ist es tatsächlich so: So viele Hinweise auf
mögliche Attacken in Deutschland gab es noch nie. Insofern eine
gefährliche Situation. Aber, und das ist wichtig: Je unruhiger eine
Bevölkerung wird, je mehr sie sich selber in Hysterie und Panik
versetzen lässt, desto mehr haben die Terroristen schon gewonnen,
weil das ihr Hauptziel ist -und umso einfacher wäre es dann auch für
Terroristen, unauffällig hier ihre Taten weiter auszuführen. Denn sie
fallen eher auf mit dem, was sie tun, wenn eine Bevölkerung ruhig und
gelassen bleibt, wachsam bleibt und aufmerksam und verdächtige
Aktivitäten sehr schnell an die Behörden weitermeldet. (0:42)
3. Es ist auch die Rede von konkreten Anschlagsterminen, zum
Beispiel in der kommenden Woche. Wie ernst müssen wir solche
Informationen nehmen? Also es gibt Hinweise, die auch Daten
enthalten, aber die sind aus meiner Einschätzung nicht wirklich ernst
zu nehmen. Denn die Terroristen planen in aller Ruhe und werden ihre
Anschläge dann ausführen, wenn sie es für richtig halten, und nicht
nach irgendwelchen festgelegten Daten, über die vielleicht
irgendjemand mal gesprochen hat in einem Gespräch, das dann abgehört
wurde. (0:22)
4. Das ganze Thema ist ja eine Gratwanderung, für die Regierung
wie für die Medien, oder? Ja, wir alle stecken eigentlich in der
gleichen Zwickmühle: Berichten wir zu viel, schüren wir
möglicherweise Panik. Berichten wir zu wenig, kann man vielleicht den
Medien, aber vor allen Dingen der Politik hinterher vorwerfen, wenn
es dann passiert, wenn ein Anschlag kommt: Warum hat man nicht vorher
gewarnt, wenn man doch Details kannte? Und das würde dann einen sehr
schnellen Vertrauensverlust in die Politik zur Folge haben. (0:23)
5. Gestern Abend war Bundesinnenminister de Maizière zu Gast in
der ZDF-Sendung "Was nun..?". Wie schätzen Sie seine
Informationspolitik insgesamt ein? Der Bundesinnenminister hat nicht
alles gesagt, was er weiß. Es gibt noch eine Reihe von weiteren
Hinweisen. Und er hat ja auch in den letzten Tagen relativ wenig zu
Details gesagt. Darüber kann man streiten. Es gibt eine Reihe von
Sicherheitsexperten in Deutschland, die der Meinung sind: Lieber alle
Details auf den Tisch legen, damit auch die Bevölkerung weiß, auf was
sie achten muss, wie sie aufmerksam sein soll. Die Details darüber,
dass es hier Kommando-Unternehmen vielleicht geben könnte mit einem
pakistanisch-indischen Hintergrund, oder ein Deutsch-Marokkaner und
ein Deutsch-Syrer, die involviert sein sollen, da gibt es auch Namen,
die die Behörden haben, zumindest von einem Teil dieser Gruppe - da
kann man natürlich schon hinterfragen: Warum veröffentlicht man die
nicht, weil es vielleicht der Öffentlichkeit helfen könnte, dann zu
wissen, worauf sie achten muss und dann die Polizei schneller zu
informieren? (0:49)
6. Kommt die Terrorwarnung aus Ihrer Sicht zu spät? Die Warnungen
sind jetzt veröffentlicht worden. Das war, glaube ich, ein wichtiger
und richtiger Schritt aus meiner Sicht. Aber das Entscheidende ist
eigentlich: Was hat man denn in den vergangenen Jahren getan, um die
Bevölkerung insgesamt, auch psychisch, auf mögliche Anschläge in
Deutschland vorzubereiten? Es gab im Jahr 2006 den versuchten
Kofferbomben-Anschlag. Es gab im Jahr 2007 die Sauerland-Zelle mit
Anschlagsplänen für Deutschland. Und man hätte spätestens dann,
eigentlich vielleicht schon nach den Anschlägen von Madrid und
London, hier in Deutschland anfangen können, die Bevölkerung
detailliert zu informieren. Die britische Regierung hat im Vorfeld
der Attacken von 2005 die Bevölkerung detailliert informiert und sie
auch an Ãœbungen beteiligt. Und das ist, glaube ich, ein wesentlicher
Grund dafür, weshalb dann die Londoner Bevölkerung vergleichsweise
ruhig mit den Anschlägen vom Juli 2005 umgegangen ist. (0:54)
7. Gestern hat ja ein angeblicher Sprengsatz auf einem Flughafen
in Namibia für Aufsehen gesorgt, eine Maschine nach München wurde
nach dem Fund noch einmal komplett durchkämmt. Was wissen Sie
inzwischen über die Frage, ob das ein versuchter Anschlag war oder
eine Art "Testlauf"? Nach unseren Einschätzungen eindeutig ein
Testlauf mit einem Sprengsatz, der industriell gefertigt wurde, aber
gefälscht ist, das heißt ein Sprengsatz-Dummy. Solche Dummies werden
eingesetzt von Regierungen und Sicherheitsbehörden, um die
Wachsamkeit von Sicherheitspersonal an Flughäfen oder anderswo zu
testen. Die große Frage ist: Wer hat diesen Testlauf gemacht? Waren
es örtliche Behörden, waren es amerikanische Behörden, oder waren es
gar am Ende deutsche Behörden? Und es ist auch nicht ausgeschlossen,
dass extremistische Gruppierungen eine solche Attrappe mal
mitschicken, um zu testen, ob so ein Paket auch wirklich ankäme. Ich
halte diese Variante aber für die unwahrscheinlichste, weil wir aus
der Erfahrung der letzten Jahre wissen, dass Terroristen keine
Testläufe machen, sondern lieber den Versuch machen mit einem echten
Sprengsatz, und wenn der fehl schlägt, es dann eben wieder versuchen.
(0:58)
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