(ots) - Ausführlich hierzu die NDR Dokumentation "45 Min -
Freiheit für Schwerverbrecher", Dienstag, 10. Mai, 22.35 Uhr, NDR
Fernsehen
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat in seinem Urteil vom
4. Mai zur Sicherungsverfahrung hohe Hürden aufgestellt, wenn es um
die richterliche Entscheidung über den weiteren Verbleib schwerer
Gewalt- und Sexualstraftäter geht. Bis zu einer gesetzlichen
Neuregelung dürfen solche Straftäter nach Verbüßen ihrer Haftstrafe
nur noch dann in Verwahrung bleiben, wenn von ihnen eine "hochgradige
Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten" ausgeht und sie
zudem an einer "zuverlässig nachgewiesenen psychischen Störung"
leiden. Bisher galt vor deutschen Gerichten das Kriterium
"schuldfähig" oder "nicht schuldfähig".
Stefan Caspari, Richter am Landgericht Marburg und Mitglied des
Präsidiums des Deutschen Richterbunds, warnt im Interview mit der
NDR-Dokumentationsreihe "45 Min" davor, die Attestierung einer
psychischen Störung nun als Universallösung zum "Wegschließen" von
Schwerverbrechern zu betrachten. Das deutsche Rechtssystem habe keine
Definition für den Begriff "psychische Störung", so Caspari. "Das
hauptsächliche Problem, dass wir damit haben werden, ist, dass uns
der Gesetzgeber dort eine Begrifflichkeit vorgegeben hat, mit der in
der Praxis noch keiner etwas anzufangen weiß. Der Begriff der
psychischen Störung ist bislang in der Rechtsprechung und auch im
Gesetz völlig unbekannt. Wir wissen lediglich, was es nicht sein
soll, nämlich die bisherige psychische Krankheit. Die soll nicht
deckungsgleich mit diesem Begriff sein. Was aber tatsächlich hinter
der psychischen Störung stecken soll - das überlässt der Gesetzgeber
bislang noch den Sachverständigen und den Gerichten, die das dann
erst im Einzelfall werden klären müssen."
Ein weiteres ungelöstes Problem sei die Frage, wer eine
"psychische Störung" attestieren soll und kann. Caspari: "Wir haben
nicht genug Gutachter. Das Problem ist einfach, dass wir Gutachter
haben müssen, die natürlich, was die Fragen der
Krankheitsbestimmungen angeht, der Persönlichkeitsbestimmung angeht,
hinreichend kompetent sein müssen, aber eben auch forensische
Erfahrung möglichst haben müssen. Dann sind sie in der Regel
natürlich auch nicht nur forensisch tätig. Sie sind ja alle
Psychiater im Hauptberuf. Und da ist das wesentliche Problem, dass
wir viel zu wenig Psychiater haben, die für solche Gutachten zur
Verfügung stehen. Insbesondere, wenn in Zukunft mit dem Vorbehalt der
Sicherungsverwahrung möglicherweise noch mehr Fälle auf uns
zukommen."
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger weist
diese Kritik im Interview mit "45Min" zurück: "Natürlich ist dieses
Gesetz für die Richterinnen und Richter jetzt neues Recht und deshalb
finden eben auch Fortbildungsveranstaltungen statt, auch gerade mit
den Fachleuten hier aus meinem Ministerium. Das war zum Beispiel auch
im März der Fall in Rheinland-Pfalz, wo da entsprechend das
Justizministerium eingeladen hatte. Ich glaube, das ist ganz, ganz
wichtig, dass gerade jetzt auch diese neuen gesetzlichen Bestimmungen
begleitet werden von einer entsprechenden Fortbildung."
Das Bundesjustizministerium muss sich mit der Schulung der Richter
beeilen, denn die sollen bereits bis Ende des Jahres über mehrere
Dutzend strittige Fälle der Sicherungsverwahrung entscheiden.
Mehr zur Debatte über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
Sicherungsverwahrung zeigt das NDR Fernsehen am Dienstag, 10. Mai, in
der Sendung "45Min - Freiheit für Schwerverbrecher?" um 22.35 Uhr.
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