(ots) - Dürfen zwischengeschlechtlich geborene Kinder
medizinisch vereindeutigt werden? Viele Betroffene im
Erwachsenenalter beklagen die für sie belastenden Folgen solcher
meist irreversibler Eingriffe und fordern deren Verbot. Im Zuge der
öffentlichen Anhörung des Deutschen Ethikrates am 8. Juni 2011 in
Berlin wurden ethische, medizinische, rechtliche, psychologische und
gesellschaftliche Fragen im Umgang mit Intersexualität lebhaft und
kontrovers diskutiert.
Mit Intersexualität bezeichnet man unterschiedliche Formen der
Uneindeutigkeit der Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen. Sie
beruht auf der fehlenden Übereinstimmung zwischen den äußeren und
inneren körperlichen Geschlechtsmerkmalen und den genetischen
Merkmalen eines Menschen. Intersexualität ist ein Thema, das in der
Öffentlichkeit immer noch tabuisiert wird. Dabei sind grundsätzliche
Fragen der Medizin und der Ethik, der Grundrechte von Betroffenen und
unseres Verständnisses von Geschlechtlichkeit betroffen.
Für den Deutschen Ethikrat ist das Thema Intersexualität Anlass,
erstmals eine onlinebasierte Beteiligungsplattform zu starten. Die
Debatte zum Thema Intersexualität kann ab sofort auf
diskurs.ethikrat.org öffentlich fortgeführt werden.
In den beiden Foren zu den Themen "Medizinische Behandlung,
Indikation, Einwilligung" sowie "Lebensqualität, gesellschaftliche
Situation und Perspektiven von Menschen mit Intersexualität" stellten
Experten und Betroffene ihre Positionen zum Thema vor. Im Anschluss
folgte eine Befragung durch die Mitglieder des Deutschen Ethikrates.
Publikumsanwälte sammelten schließlich Fragen der anwesenden
Öffentlichkeit ein und richteten sie gebündelt an die
Sachverständigen.
Zu diesen zählten Mediziner, Psychologen, Juristen, Vertreter von
Elterninitiativen, Betroffenenvereinen und -organisationen. Ziel der
Anhörung und des sich an die Anhörung anschließenden öffentlichen
Diskurses (bis 31. Juli 2011) auf diskurs.ethikrat.org ist die
Erarbeitung einer Stellungnahme des Ethikrates zum Thema
Intersexualität für die Bundesregierung bis Ende 2011.
Als besonders kontrovers erwiesen sich folgende Fragen: Dürfen
intersexuell Neugeborene und Kleinkinder durch medizinische Eingriffe
dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugewiesen werden? Wird
damit in unzulässiger Weise in das Grundrecht des Kindes auf
körperliche Unversehrtheit und in sein Persönlichkeitsrecht, dass das
Recht auf Selbstbestimmung, Fortpflanzung und eigene geschlechtliche
und sexuelle Identität umfasst, eingegriffen? Wie weit geht das
Elternrecht zur Einwilligung in solche Eingriffe?
Die Betroffenen betonten die Notwendigkeit, hier eine klar
begrenzende Regelung zu schaffen, da intersexuelle Menschen dadurch
irreversibel psychisch und physisch geschädigt werden. Zudem wurden
eine bessere psychosoziale Betreuung und Beratung für Betroffene und
Eltern sowie Verbesserungen in der medizinischen Versorgung und im
Versicherungsbereich gefordert.
Von verschiedenen Experten wurde eine breite Aufklärung der
Öffentlichkeit und Verankerung des Themas Intersexualität in der
medizinischen Ausbildung vorgeschlagen. Diskutiert wurde auch die
Frage einer Entschädigung der Betroffenen. Die im Personenstandsrecht
geregelte Verpflichtung, mit der Geburt auch das Geschlecht des
Kindes einzutragen, wurde kritisiert, da es Eltern und später auch
vielen Betroffenen selbst im Erwachsenenalter nicht möglich ist, sich
dem Geschlecht männlich oder weiblich zuzuordnen, sie sich vielmehr
als dazwischen stehend oder als Geschlecht eigener Art empfinden und
auch so leben möchten.
Interessierte können die einzelnen Redebeiträge der Anhörung unter
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/anhoerungen/intersexualitaet
nachhören und sind eingeladen, auf der Beteiligungsplattform
diskurs.ethikrat.org zu diskutieren und zu kommentieren.
Pressekontakt:
Ulrike Florian
Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutscher Ethikrat
Jägerstraße 22/23
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Tel.: +49 (0)30/203 70-246
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