(ots) - Es gibt wohl kaum jemanden im Westen, der den
weißrussischen Internet-Revolutionären den Erfolg nicht gönnen würde.
Keine Frage: Die Menschen in "Europas letzter Diktatur" haben eine
humanere und bessere Regierung verdient als das sowjetnostalgische
Steinzeitregime des Alexander Lukaschenko. Seit 17 Jahren knebelt er
seine Bürger mit Hilfe des allmächtigen Geheimdienstes KGB. Große
Teile der Gesellschaft haben sich dieses Joch lange Zeit gefallen
lassen. "Väterchen" Lukaschenko, wie sich der Diktator gern nennen
lässt, sorgte immerhin für Stabilität und bescheidenen Wohlstand.
Doch dieses Herrschaftsfundament hat sichtbare Risse bekommen. Die
staatskapitalistische Wirtschaft steht vor dem Kollaps, der Fiskus
vor dem Bankrott. Das Bombenattentat im April hat Lukaschenkos
Sicherheitsversprechen ad absurdum geführt. Und nicht zuletzt haben
die Menschen genug von den Schikanen des Regimes. Dennoch ist
ungewiss, ob der Wind des Wandels eine neue Zeit nach Weißrussland
wehen kann. Tyrannen werden selten durch die Stärke ihrer Gegner zu
Fall gebracht. Sie stürzen meist aus eigener Schwäche. Herrscht in
Weißrussland nach diesen Maßstäben eine revolutionäre Situation?
Fachleute sind sich in dieser Frage uneinig. Die einen halten
Lukaschenko für "schwächer denn je". Andere nennen das Regime
"ziemlich stabil". Für beide Sichtweisen gibt es gute Argumente. Der
ökonomische Niedergang spricht für die erste Version. Der Vergleich
mit dem Ende des Kommunismus in Osteuropa 1989/90 drängt sich auf.
Lukaschenko ist gezwungen, strategisch wichtige Bereiche seiner
Staatswirtschaft zu privatisieren, insbesondere im Energiesektor.
Chinesische und vor allem russische Investoren stehen in den
Startlöchern, um Raffinerien und Transit-Pipelines aufzukaufen.
Andererseits gilt: Solange Geld aus Moskau fließt, kann der Diktator
die Risse im Fundament seiner Herrschaft abdichten. Zudem verfügt
Lukaschenko über gut gefüllte schwarze Kassen, aus denen er seine
Helfershelfer entlohnt. Die brutalen Reaktionen von Polizei und KGB
auf die Proteste im Land sind Beleg dafür, dass es im
Sicherheitsapparat (noch) keinen Widerstand gegen den Mann an der
Spitze gibt. Und den Herausforderern fehlt es an Kraft. Die
wichtigsten Oppositionspolitiker sitzen in Haft oder sind ins Exil
geflohen. Die Internet-Revolutionäre ihrerseits, die auf die
Unzufriedenheit und den Widerstandswillen der breiten Bevölkerung
setzen, sind viel zu unerfahren, um gezielt einen Umsturz ins Werk
setzen zu können. Ihr durchaus pfiffiger Protest kann einen Anstoß
geben. Ob der Impuls aber ausreicht, um eine Massenbewegung wie in
Nordafrika ins Rollen zu bringen, ist offen. Im Grunde ist
überdeutlich, dass das Lukaschenko-Regime nach 17 Jahren an der Macht
abgewirtschaftet hat. Leider nur ist dies noch keine Garantie dafür,
dass der Diktator in absehbarer Zeit tatsächlich stürzt. Vieles hängt
von der ökonomischen Entwicklung ab. Das wiederum heißt: Der
Schlüssel zur Zukunft in Minsk liegt in Moskau. Mit dem Westen hat es
sich Lukaschenko durch seine Gewaltexzesse verscherzt. Daher können
nur Rubel-Milliarden Weißrussland vor dem Staatsbankrott bewahren.
Und das Geld wird wohl weiterhin fließen. Kurz vor den Parlaments-
und Präsidentenwahlen im eigenen Riesenreich hat der Kreml kein
Interesse an einer Destabilisierung des kleinen Nachbarlandes. Zudem
profitiert Russland erheblich von der Finanzkrise in Minsk. Gasprom
kann sich all jene Filetstücke der weißrussischen Wirtschaft
einverleiben, nach denen sich der Moskauer Energie-Gigant seit langem
die Finger leckt. "Wir werden einen langen Atem brauchen", sagen die
Internet-Revolutionäre selbst. Man kann ihnen und den Menschen in
Weißrussland nur wünschen, dass sie diesen Durchhaltewillen
aufbringen. Verdient hätten sie den Erfolg.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de