Technisch hoch anspruchsvolle Aufgaben werden nicht in Billiglohn-Ländern angesiedelt, versichert Bernd Werner, Leiter der Unternehmensplanung von Autoliv Europa. Im Exklusivinterview mit OEM & Lieferant sprechen er und Stefan Brock, Leiter der Entwicklung Frontairbag bei Autoliv Europa, über zukünftige Systeme, Standortverlagerungen und neue Märkte.
(firmenpresse) - Bernd Werner hat Maschinenbau in Darmstadt studiert. Danach ging er zu Opel und war einige Zeit bei GM in den USA tätig. Seine nächste Station war die Produktplanung bei BMW, um anschließend zu Bayern Chemie zu wechseln. Seit 1991 ist der heute 59-jährige bei Autoliv.
Was sind die wichtigsten Kennzahlen von Autoliv?
Werner: Autoliv hatte 2006 einen Umsatz von 6,2 Milliarden US-Dollar, der EBIT-Wert lag bei 8,4 Prozent. Wir haben zirka 42 000 Mitarbeiter weltweit und liefern 100 Millionen Airbags im Jahr, bei Gurten ist die Zahl noch etwas höher.
Was sind die wichtigsten Produktionsstandorte?
Werner: Autoliv hat mehr als 80 Standorte auf der Welt. Die Wiege steht in Westeuropa, genau genommen in Schweden. Westeuropa ist mit mehr als 50 Prozent Umsatz nach wie vor der Schwerpunkt. Aber auch Amerika und Japan bieten uns einen großen Markt. Seit Jahren sind wir in China stark engagiert.
Wie sieht die zukünftige Produktstrategie aus?
Werner: Wir arbeiten generell im Markt der passiven und aktiven Sicherheitssysteme. Autoliv’s Einstieg in die aktive Sicherheit war der Radarsensor. Heute ist unser bekanntestes Produkt das Nachtsichtgerät, welches bei BMW zum Einsatz kommt. Andere Fahrerassistenzsysteme wie Spurhalte- und Spurwechselassistent sind in der Entwicklung.
Wie schätzen Sie das Marktsegment der Airbags ein? Ist in Europa, USA und Japan bereits eine Ausrüstungsquote von 100 Prozent erreicht?
Werner: Bei den Frontairbags haben wir diese Zahl realisiert. Bei den seitlichen Airbags sind es insgesamt zirka 50 Prozent, weshalb hier noch großes Potenzial vorhanden ist. Dies gilt vor allem für die Kopfairbags in kleineren Fahrzeugen, wo sie eine wichtigere Schutzfunktion erfüllen als bei großen Fahrzeugen.
Können auch sogenannte Low-Cost-Fahrzeuge aus China und Indien für weiteres Wachstum sorgen? Denken Sie, dass diese Fahrzeuge die gleiche Ausrüstungsquote wie europäische Fahrzeuge haben werden?
Werner: Es ist schwierig diese ULCC (Ultra-Low-Cost-Cars) zu definieren. Deshalb muss klar unterschieden werden, von welchem Markt man spricht. Sicherheit bleibt Sicherheit, auch wenn klar ist, dass diese ULCC bestimmt nicht den Standard an Rückhaltesystemen haben werden, wie wir es in Europa gewohnt sind. Aus dieser Sichtweise erscheinen diese Fahrzeuge als nicht besonders attraktiv, aber das große Volumen ergibt dennoch ein hohes Marktpotenzial.
Wie müssen Lösungen aussehen, die in Fahrzeuge bis 6 000 Dollar Kaufpreis eingebaut werden? Was muss ein Lieferant hier beachten?
Werner: Wir brauchen von Anfang an ein neues Konzept. Es muss marktorientiert sein und darf nicht von europäischen Vorstellungen geprägt werden. Es wird eine ganz andere, auf die örtlichen Gegebenheiten angepasste Robustheit des Systems gefordert. Zudem sind in Indien die Lohnkosten noch geringer als in Rumänien, weshalb hier eine stark manuell ausgerichtete Produktion erfolgreich sein wird.
Welche Stellung hat Autoliv in Osteuropa?
Werner: Autoliv hat dort eine sehr gute Ausgangsposition, da wir seit mehr als zehn Jahren in Ungarn und mittlerweile auch in Polen präsent sind. Zuletzt kam Rumänien hinzu, welches noch ausgebaut wird. Anfänglich ging es dort nur um die Montage von Teilen, aber heute werden auch Entwicklungskapazitäten aufgebaut, was bei den Gurten bereits begonnen hat, die Airbags werden folgen. Die Lohnkostenvorteile sind erheblich. Produkte mit hohem Lohnkostenanteil sind dort sehr interessant.
Der Gurt hat deutlich höhere Lohnkosten als der Airbag. Wie kommt das zustande?
Werner: Der Sicherheitsgurt besteht zu großem Anteil aus Feinmechanik mit sehr vielen kleinen Teilen. Ein Airbagmodul hingegen umfasst nur wenige Schlüsselkomponenten mit relativ geringem Lohnkostenanteil in der Montage. Für einen Airbag beträgt die Montagezeit etwa fünf Minuten, während beim Gurt zehn bis 15 Minuten anfallen.
Autoliv beschäftigt fast die Hälfte der
Mitarbeiter in Low-Cost-Ländern. Wie geht die Entwicklung an den Standorten weiter?
Werner: Technisch hoch anspruchsvolle Aufgaben werden nicht in Rumänien oder Polen angesiedelt, da dort weder die Ressourcen noch die Möglichkeiten vorhanden sind. Einfache Produkte und auch einfache Entwicklungen mit geringerem wissensseitigem Anspruch können aber durchaus dort vorgenommen werden. Es werden auch Know-how-Träger zeitbegrenzt in diese Standorte geschickt, um Aufbauarbeiten zu leisten.
Von Autoliv gab es vor mehreren Jahren die Bag-in-Belt-Idee, also ein Gurt, der sich aufbläst, um die Belastung in der Schulter zu reduzieren. Wird man diese Technik noch in Serie sehen?
Werner: Ein Kunde untersucht die Idee und das Konzept gerade sehr intensiv. Natürlich müssen verschiedene Anforderungen an den Gurt erfüllt werden: unter anderem darf der Tragekomfort nicht beeinflusst werden und der Aufrollmechanismus muss angepasst werden. Die Testergebnisse waren sehr gut, aber ob das Produkt Zukunft haben wird, ist noch fraglich.
Wie sieht die Autoliv Produktplanung bei aktiven Sicherheitssystemen aus?
Werner: Die passiven Sicherheitssysteme werden oft unterschätzt. Der europäische Markt ist zwar relativ gesättigt, aber es besteht noch großer Nachholbedarf im Bereich des Seitenschutzes. Außerdem gibt es die jungen Märkte über die wir bereits gesprochen haben. China bietet noch viele Möglichkeiten zum profitablen Wachstum. Weiteres Potential sehen wir in den aufstrebenden Märkten Indien und Südamerika, welche häufig noch unterschätzt werden. Bei den aktiven Sicherheitssystemen ist es schwer, eine Prognose abzugeben, da hier die Kostenfrage sehr stark den Erfolg der Systeme bestimmt. Klar ist, dass wir in drei bis vier Jahren deutlich mehr Assistenzsysteme auf den Straßen sehen werden, primär in Premiumfahrzeugen. Es gibt jedoch auch Volumenhersteller, die schon intensiv darüber nachdenken. Eine Marktdurchdringung zu prognostizieren ist heute fast unmöglich.
Wie oft kommt es vor, dass die Fertigungsplanung eines OEM nicht stimmt, und wie wird das ausgeglichen?
Werner: Das kommt relativ selten vor. Natürlich haben wir vertraglich vereinbarte Kapazitäten und Stückzahlen. Wenn diese Stückzahlen deutlich abweichen, gibt es einen vertraglich zugesicherten Ausgleich, der jedoch leider nicht immer bei 100 Prozent liegt.
Wie wirken sich die gestiegenen Rohstoffpreise auf das Geschäft bei Autoliv aus?
Werner: Es laufen Verhandlungen mit vielen OEM bezüglich der gestiegenen Rohstoffpreise. Es gibt OEM, die seriös mit sich verhandeln lassen und einen gewissen Ausgleich zusprechen, das gilt aber nicht für jeden OEM und nicht für jedes Bauteil. Im Vergleich zu früher sind die Preise sehr knapp kalkuliert und lassen sehr wenig Verhandlungsspielraum.
Stefan Brock ging direkt nach seinem Fahrzeugtechnik-Studium an der FH in München zu Autoliv. Dort ist der 42-Jährige nun seit 15 Jahren tätig und ist für die Entwicklung der Frontairbags verantwortlich.
Beim Citroën C4 kam erstmals ein neues Lenkradsystem mit feststehender Nabe zum Einsatz. Wie ist es zu erklären, dass es noch keine weiteren Fahrzeuge mit dieser Technik gibt?
Brock: Dieses Lenkradsystem ist marketingmäßig belegt und im Markt eingeführt. Dadurch ist es für einen Großteil der anderen Kunden nicht mehr interessant.
Kenner des Marktes glauben, dass die Kosten und das Gewicht wichtige Faktoren sind. Sind die Unterschiede tatsächlich so gravierend?
Brock: Die Entwicklung der zweiten Generation läuft zurzeit. Sie wird zwar leichter und kostengünstiger sein als die Erste, aber durch die andere Konzeption immer noch nicht den Stand eines konventionellen Systems erreichen.
Was kann über die zweite Generation schon gesagt werden? Wie hoch wird das Gewicht sein, auch im Vergleich zur ersten Generation und zum konventionellen Lenkrad?
Brock: Ein normales Lenkrad wiegt zirka 3,5 bis vier Kilogramm. Unser heutiges System hat ein Mehrgewicht von 600 bis 700 Gramm. Die zweite Generation sollte maximal die Hälfte, also 200 bis 300 Gramm Mehrgewicht im Vergleich zum Konventionellen haben.
Ist die Zahl der Airbags im Innenraum ausgereizt, oder wo gibt es noch Möglichkeiten für Innovationen?
Brock: Meiner Meinung nach sind alle sinnvollen Maßnahmen in Serie. Der Knieairbag wird sich sicher noch in gewissen Fahrzeuggruppen etablieren. Vor allem für US-Fahrzeuge und für Fahrzeuge, die fünf Sterne erreichen sollen, ist er interessant. Ansonsten ist heute das Limit erreicht, welches durch Mehrgewicht und Kosten definiert ist.
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