(ots) - Bis gestern stand die Welt am Abgrund: Hätten
sich die politischen Gegner in den USA nicht in buchstäblich letzter
Minute zu einem Waffenstillstand in ihrem inzwischen fanatisch
geführten Schuldenkrieg durchgerungen, würden wir jetzt von einem
globalen Finanzbeben der Stärke 10 erschüttert. Demgegenüber würde
sich die Lehman-Pleite mitsamt der daraus resultierenden Vernichtung
von Billionen-Werten nachträglich eher wie eine mittlere Vibration
anfühlen. Doch auch wenn die Katastrophe knapp abgewendet wurde - der
politische Schaden für alle Beteiligten ist enorm. Allein die
Tatsache, dass es die politische Elite der wichtigsten
Wirtschaftsnation aus reinem Machtkalkül heraus auf den großen Crash
ankommen ließ, ramponiert das Ansehen der USA schwer. Der
Schuldenstreit zwischen Republikanern und Demokraten wurde mit einer
ideologischen Verbortheit geführt, die man vielleicht in
Ayatholla-Staaten vermuten würde, nicht aber im selbsternannten Land
der Freiheit. Und zwischen den Fronten wurde Barack Obama zerrieben,
weil er der rechten Tea-Party-Bewegung bittere Zugeständnisse in Form
von Sozialkürzungen machen musste. An der strukturellen Schieflage
des US-Haushalts ändert das gesamte Paket aber nichts. Auch künftig
stehen den horrenden Ausgaben viel zu geringe Einnahmen gegenüber.
Das Leben auf Pump geht weiter. Bei vielen Wählern ist die
Glaubwürdigkeit des Präsidenten nun dahin, womit die Republikaner
eines ihrer Hauptziele erreicht haben. Wenige Tage vor seinem 50.
Geburtstag muss Obama feststellen, dass er sich bereits mitten im
Wahlkampf befindet - 15 Monate, bevor die Amerikaner über seine
zweite Amtszeit abstimmen - oder über einen dramatischen Rechtsruck
im Weißen Haus. Der Präsident wird fighten müssen wie Captain
America, damit ihn die Tea-Party-Bewegung nicht vom Schiff wirft.
Denn seine Landsleute werden ihn künftig nicht mehr an großartigen
Reden messen. Genauso wenig werden sie Obama mildernde Umstände
einräumen, weil er den Großteil der drückenden Schuldenlast von
seinem Amtsvorgänger George W. Bush geerbt hat. Die Wähler werden
Obama allein danach beurteilen, ob die Wirtschaft wieder Fahrt
aufnimmt und ob die hohe Arbeitslosigkeit sinkt. Wenn er hier nicht
punktet, wird er in den Geschichtsbüchern lediglich als erster
schwarzer US-Präsident Erwähnung finden. Der Art und Weise, wie der
Schuldenstreit geführt wurde, ist eine böse Lektion für Obama. Die
erneute politische Radikalisierung ist aber auch ein Spiegelbild der
zutiefst gespaltenen Gesellschaft. Amerika war schon immer ein Land
der Extreme. Dafür stehen Namen wie die des Kommunistenfressers
McCarthy, des atomaren Wettrüsters Reagan oder der Kriegspräsidenten
Bush senior und junior symbolisch ebenso wie die großen Konflikte,
die das Land bis heute prägen: die rassistischen Spannungen, die
längst nicht ausgestanden sind; der Dauerstreit um Abtreibungen, der
von religiösen Fanatikern sogar mit Waffengewalt geführt wird; und
das Thema staatliche Wohlfahrt. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit
ist in einem Amerika, das immer mehr in Reich und Arm zerfällt, so
brisant wie zu Zeiten der großen Depression. Doch genau hier
verlaufen die Hauptkampflinien zwischen Republikanern und Demokraten.
Im Denken vieler US-Bürger endet die Freiheit des Einzelnen dort, wo
der Staat eingreift - sei es über Steuern oder Umverteilung. Jeder
selbst soll nach dieser für Europäer befremdlichen Logik seines
Glückes Schmied sein. Je nach Standpunkt ist das der Amerikanische
Traum, purer Sozialdarwinismus oder der Wilde Westen. Die Tea Party
destilliert aus diesem Glaubenskrieg ein giftiges Gebräu, das die
US-Politik radikalisiert wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Obama muss
sich auf einen brutalen Wahlkampf einstellen. Die Rechten werden ihn
mit Schmutz und Lügen bewerfen - auch um den Preis, dass sie die
Gesellschaft an den Abgrund führen.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de