(ots) - Am 19. August 1991 starteten Altkommunisten
einen dilettantischen Versuch in Moskau, mit Panzern die alte Ordnung
wieder herzustellen. Der russische Durchschnittsbürger versucht,
dieses geschichtsträchtige Datum zu verdrängen, denn es erinnert an
den Zerfall eines großen Staates. Aus dem Datum lässt sich keine
Kraft für das Leben heute schöpfen. Also erinnert man sich lieber
nicht daran. Die Medien erinnern an den schicksalhaften Tag nur am
Rande und der Kreml ist völlig auf Sendepause gegangen. Was aus
westlicher Sicht logisch, ja unausweichlich war, der Zerfall der
Sowjetunion in 15 Einzelrepubliken, hat für die Russen etwas
Schmerzliches. Immerhin gab es in dem Großreich mit dem Namen UdSSR
nicht nur Gulag und Repression, sondern auch so manchen
wissenschaftlichen Erfolg und sogar den ersten Flug eines Menschen in
den Weltraum. International anerkannt war die Ausbildung an
sowjetischen Schulen und Universitäten. Ohne russische
Software-Tüftler, Genetiker und Physiker stünde heute so manches
westliche Software-Unternehmen und Forschungs-Institut sehr viel
schlechter da. Tatsache ist aber auch: Der Zusammenbruch der
Sowjetunion war unausweichlich, denn den positiven Faktoren standen
zu viele negative gegenüber. Der zentralistisch geführte Staat
zermürbte die Bürger, indem er ihre kreative Energie abwürgte und
ihnen die Verantwortung für ihr Handeln nahm. Der stalinsche
Verwaltungsmechanismus habe sich bis heute erhalten, kritisiert
Ex-Präsident Michail Gorbatschow ziemlich wortgewaltig und hat im
Kern doch Recht. Auch heute traut der Kreml seinen Bürgern nicht. Die
Kreml-Partei "Einiges Russland" sei mit ihrem Machtmonopol der KPdSU
sehr ähnlich, warnt Gorbatschow, der seine Erfahrung mit einer
führenden aber erstarrten Partei machen musste. Die Funktionäre der
KPdSU interessierten sich Ende der 1980er Jahre nicht mehr wirklich
für Gorbatschows Programme Perestroika und Glasnost (Umbau und
Transparenz). Ein Teil der Funktionäre bereitete sich auf den Start
in den Kapitalismus vor und war nur an der Sicherung der eigenen
Pfründe interessiert, ein anderer war davon überzeugt, der Erhalt des
Riesen-Imperiums sei die Schlüsselfrage überhaupt. Gorbatschows
Mittelweg erschien den praxiserfahrenen Funktionären wie ein
Wolkenschloss. Im heutigen Russland erleben die Bürger nun, dass
Konsum und Reisen allein nicht glücklich machen. Es fehlt eine
Zukunfts-Vision für das große Land. Die Lücke füllt die Nostalgie.
Niemand will Stalins-Straflager zurück und das Flüstern aus Angst,
ein KGB-Mann könne mithören. Doch wenn Flugzeuge und Satelliten
abstürzen, Ausflugsschiffe versinken, Staudamm-Turbinen bersten und
die Staatsbediensteten bei jeder Dienstleistung die Hand für ein
Schmiergeld aufhalten, dann wird der Ruf nach einer starken Hand
wieder laut. Und diese Hand soll viel stärker sein als die von
Wladimir Putin. Russland geht heute mit einem Diktator schwanger und
auch das weiche Polster der Dollars aus dem Öl- und Gas-Geschäft
könnte zu einer harten Matratze werden, wenn nämlich die
Weltwirtschaft in eine ernste Krise kommt. Dann könnten, wie schon
1988, Konflikte im Vielvölker-Staat Russland ausbrechen. Schon jetzt
sind Jugend-Krawalle zwischen Russen und Kaukasiern keine Seltenheit.
Eine Zukunfts-Vision für ein multinationales Russland hat der Kreml
bisher nicht entwickelt. Wenn der Kreml nicht wirkliche Lehren aus
dem Zerfall der Sowjetunion zieht, ist auch die Stabilität in
Russland gefährdet.
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