(ots) - Die Schwierigkeiten der Kollegen vor Ort, ein
halbwegs klares Bild vom Stand der Dinge in Libyen zu liefern, ist
bezeichnend für das, was sich abzeichnet mit dem Sturz des Despoten
Gaddafi. Die diffuse Allianz von Kämpfern, die sich anschickt,
Libyens Hauptstadt Tripolis zu erobern, ist weit davon entfernt, eine
klare Vorstellung von der Machtübernahme und einem Neubeginn in dem
nordafrikanischen Land zu haben. Der Verlauf der Kämpfe in den
vergangenen Monaten hat gezeigt, dass militärische Fortschritte der
Gaddafi-Gegner nur mit massiver Unterstützung westlicher Staaten
erreicht werden konnten. Diese beschränkt sich keineswegs auf den
Einsatz von Luftstreitkräften. Längst sind Spezialkommandos vor Ort,
die die Zielauswahl koordinieren und wohl auch einigen Anteil haben
an den Bodenkämpfen. Die Stunde der Bewährung für das zerbrechliche
Bündnis insbesondere von Frankreich und Großbritannien mit der bunten
Schar, die sich anschickt, die Verantwortung in Tripolis zu
übernehmen, kommt aber nicht im möglichst erfolgversprechenden
Einsatz moderner Militärtechnik. Die Übergangsregierung braucht jetzt
Hilfe bei der Erarbeitung eines Fahrplans, mit dem die politische
Führung des Landes den Erwartungen seiner Bürger halbwegs gerecht
werden kann. Dies wird ein überaus schwieriger Prozess. Denn Gaddafi
hinterlässt ein fast vollständiges Machtvakuum. Die politischen
Strukturen Libyens waren vollständig auf seine Person und auf
Stammesloyalitäten ausgerichtet. Darüber hinaus wird der Ölreichtum
des Wüstenstaates Begehrlichkeiten einer Vielzahl von in- wie
ausländischen Glücksrittern wecken, die die Einrichtung
demokratischer Institutionen eher erschweren. Denn mit dem Sturz der
bisherigen Machthaber werden nicht nur die bisherigen politischen,
sondern vor allem auch die wirtschaftlichen Beziehungen des Landes
neu bestimmt werden. Die Bundesrepublik ist bei diesem Prozess
zunächst wegen ihres Alleingangs beim militärischen Engagement außen
vor. Und sie kann auch nicht hoffen, dass ihr aus einer Art
europäischer Solidarität heraus jetzt plötzlich die kriegführenden
Verbündeten großzügig Spielräume eröffnen. Was Übergangsphasen von
der Diktatur zur Demokratie betrifft, so hat Deutschland allerdings
einen reichen, nutzbaren Erfahrungsschatz. Wenn es den zusammen mit
hinreichend bemessenen finanziellen Ressourcen einsetzt, kann es
seinen Beitrag dabei leisten, Wege aus dem Chaos zu ebnen. Dazu muss
in Berlin jetzt verstanden werden, welch herausragende Bedeutung die
Entwicklung in Nordafrika insgesamt und in Libyen im Besonderen für
die Zukunft der EU hat. Die Kanzlerin darf das Problem nicht länger
einem weitgehend bedeutungslosen Außenminister überlassen. Sie ist
jetzt selbst gefordert. Und sie muss dabei Sozialdemokraten und Grüne
ins Boot holen - der arabische Frühling verlangt eine
parteiübergreifende Antwort.
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