PresseKat - Stuttgarter Nachrichten: Luxemburgs Außenminister Asselborn: EU Ist außenpolitisch weder glaubhaf

Stuttgarter Nachrichten: Luxemburgs Außenminister Asselborn: EU Ist außenpolitisch weder glaubhaft noch effizient
Scharfe Kritik an Westerwelles Libyen-Kurs und deutsch-französischer Euro-Währungspolitik

ID: 469059

(ots) - Berlin. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn
sieht die Außenpolitik der Europäischen Union durch den deutschen
Libyen-Kurs und die Euro-Währungspolitik gefährdet. Durch die
deutsche Enthaltung bei der UN-Abstimmung über den
Nato-Militäreinsatz in Libyen habe sich mancherorts ein negatives
Potenzial aufbauen können, "dessen Abbau weniger durch
Rechtfertigungsthesen oder Reden als durch konkretes Handeln
Deutschlands im Rahmen von EU und UN zu bewerkstelligen ist", sagte
Asselborn den Stuttgarter Nachrichten (Montag) mit Blick auf die
jüngsten Äußerungen Westerwelles zur Bedeutung des
Nato-Militäreinsatzes über Libyen. "Ich zweifle keinen Moment, dass
die deutsche Regierung und der deutsche Bundestag dieses auch tun
werden."

Grundsätzlich sei die EU außenpolitisch "weder glaubhaft noch
effizient, wenn sich ihre Mitglieder im UN-Sicherheitsrat in
kapitalen Fragen nicht zu einer gemeinsamen Position durchringen
können. Dann braucht die EU keinen Hohen Beauftragten für ihre
Außenpolitik, sondern einen Psychologen zum Frustabbau." Politische,
also diplomatische Schäden seien nicht immer rationell zu bemessen.

Zur Stabilisierung der Währung in der Euro-Zone erwartet Asselborn
von Deutschland, der Einführung von Euro-Bonds zuzustimmen. "Jetzt
gilt es zu stabilisieren, Flickarbeit wird nicht reichen - das
globale Gewicht der Euro-Zone schon." Ausdrücklich kritisierte er die
Euro-Politik von Merkel und Frankreichs Präsident. "Auftritte wie die
in Deauville, wo Frankreich direkte Sanktionen bei
Defizitüberschreitungen im Schilde führte zu verhindern und
Deutschland unbedingt eine Beteiligung des Privatsektors beim
Schuldenabbau wollte, sind Gift für die EU." Hier seien zwei
fundamental nationale Interessen zum EU-Interesse dekliniert worden.
Würden auch andere Länder das tun, würde die EU ersticken. "Der




französische Präsident und die deutsche Kanzlerin haben großen
Einfluss, aber noch größere Verantwortung - gerade in der
Euro-Frage." Die tatsächlich wichtigste Institution - die
EU-Kommission - werde von einigen großen Regierungschefs als lästig
dargestellt. "Nun, die EU ist nicht die Afrikanische Union, wo sich
nur die Staatsoberhäupter produzieren."

Deutschland könne sie außenpolitisch rehabilitieren, wenn die UN
über die Anerkennung Palästinas berieten. "Durch die Bürde seiner
Geschichte ist Deutschland in einer einzigartigen Position, den Weg
zum Frieden zu zeigen. Es ist im hohen Interesse Israels, wenn ein
Palästinenserstaat eine Chance bekäme und beide Staaten sich
anerkennten und respektierten." Eine mutige Positionierung
Deutschlands brächte der EU ein entscheidendes politisches Gewicht,
"welches den europäischen Einsatz der Verteidigung der Menschenrechte
weltweit zur Ehre gereiche".

Diese Nachricht steht Ihnen mit Verweis auf die Quelle Stuttgarter
Nachrichten (Montag) zur Verfügung.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Asselborn, im Libyen-Konflikt hält der deutsche Außenminister
den Beitrag seiner Diplomatie für bedeutender als das militärische
Engagement der Nato. Hat er recht? Guido Westerwelle weiß wie wir
EU-Außenminister alle, dass Gaddafi zwar nicht mehr regiert vor allem
Dank des Willens und der Opferbereitschaft des libyschen Volkes und
der Militäroperationen der Nato im Auftrag des UN-Mandats. Aber mit
ein paar tausend Anhängern, die bleiben, kann Gaddafi noch unendlich
viel Leid anstiften. Die primäre Aufgabe der EU ist es, dem libyschen
Volk humanitäre Hilfe zu leisten - Wasser, Medikamente, Energie,
Essen.

Die Altkanzler Kohl und Schmidt kritisieren die Außenpolitik der
Bundesregierung - sowohl die Enthaltung im UN-Sicherheitsrat als auch
die Euro-Währungspolitik. Haben sie recht?

Wenn die amtierende Kanzlerin Merkel sagt, dass jede Zeit ihre
Herausforderung hat, hat sie recht. Unnuancierte Pauschalurteile sind
gewagt. Es war absolut richtig, dass die Schröder/Fischer-Regierung
den Irak-Feldzug der USA nicht bejahte. Es bleibt richtig, dass
Deutschland seine Präsenz in Afghanistan auf- und ausbaute, und so
dem schwierigsten UN-Mandat folge leistete. Es war richtig, dass die
Merkel/Steinmeier-Regierung in einer schwierigen Phase der
Beziehungen zwischen den USA und Russland ein positives Verhältnis zu
Moskau fand, im Nahen Osten Vermittlungsbereitschaft zeigte und im
israelisch-libanesischen Konflikt wie auch bei der UN-Wahlbeobachtung
im Kongo Verantwortung in militärischen Operationen übernahm.
Deutschland hat in den auf Kohl folgenden Regierungen oft in
UN-Mandaten eine höher zu bewertende Qualität zugelegt - und dies zum
Vorteil der Verteidigung des internationalen Rechts. Was die Kritik
wegen der Enthaltung im UN-Sicherheitsrat zu Libyen angeht, sollte
ein Nicht-Deutscher nicht in der Wunde rühren, sondern helfen, dass
sich keine neuen bilden. Ganz grundsätzlich ist die EU außenpolitisch
weder glaubhaft noch effizient, wenn sich ihre Mitglieder im
UN-Sicherheitsrat in kapitalen Fragen nicht zu einer gemeinsamen
Position durchringen können. Dann braucht die EU keinen Hohen
Beauftragten für ihre Außenpolitik, sondern einen Psychologen zum
Frustabbau.

Gibt es derzeit eine deutsche Außenpolitik?

Wagt man den Schritt, dass es auch für das größte und
wirtschaftlich stärkste Land der EU keine Außenpolitik geben kann,
die nicht in die EU-Außenpolitik passt, ist die Frage vielleicht
falsch gestellt. Sie müsste heißen: Wie wichtig ist Deutschland für
die EU-Außenpolitik? Die Antwort kann nur heißen: von kapitaler
Wichtigkeit sowohl für die Glaubwürdigkeit als auch für deren
Durchsetzungsvermögen.

Wie sehr hat es Deutschland geschadet, sich zum
Nato-Militäreinsatz zu enthalten?

Politische, also diplomatische Schäden sind nicht immer rationell
zu bemessen. Es gibt die Dimension der innenpolitischen Debatte, wo
ich mich nicht hinwagen möchte. In der außenpolitischen Debatte kann
sich mancherorts ein negatives Potenzial aufgebaut haben, dessen
Abbau weniger durch Rechtfertigungsthesen oder Reden als durch
konkretes Handeln Deutschlands im Rahmen von EU und UN zu
bewerkstelligen ist. Ich zweifle keinen Moment, dass die deutsche
Regierung und der deutsche Bundestag dieses auch tun werden.

Kann sich Deutschland zeitnah außenpolitisch rehabilitieren?

Ja. Deutschland kann schon im kommenden Monat im Nahost-Konflikt
eine kapitale Rolle spielen, wenn die Anerkennung Palästinas durch
die UN ansteht. Durch die Bürde seiner Geschichte ist Deutschland in
einer einzigartigen Position, den Weg zum Frieden zu zeigen. Es ist
im hohen Interesse Israels, wenn ein Palästinenserstaat eine Chance
bekäme und beide Staaten sich anerkennten und respektierten.
Deutschland wie kein anderes Land kann Israel helfen, sich zu öffnen,
Friedensgespräche zu ermöglichen, um den Menschen in der Westbank,
Ostjerusalem und in Gaza Würde zu bringen und den Israeli dauerhafte
Sicherheit. Eine mutige Positionierung Deutschlands brächte der EU
ein entscheidendes politisches Gewicht, welches den europäischen
Einsatz der Verteidigung der Menschenrechte weltweit zur Ehre
gereiche.

Zur Euro-Krise: Bisher waren die Finanzminister der Euro-Gruppe
unter Ihrem Premier Juncker für die Details der Euro-Währung
zuständig. War es falsch von Merkel und Sarkozy, den Euro zur
Chefsache zu machen?

Seit dem Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages haben die drei
großen EU-Länder den EU-Rat als einzige, alles überragende
Institution betrachtet. Die tatsächlich wichtigste Institution - die
EU-Kommission - wird von einigen großen Regierungschefs als
zweitrangig, manchmal gar als lästig dargestellt. Nun, die EU ist
nicht die Afrikanische Union, wo sich nur die Staatsoberhäupter
produzieren. Auftritte wie die in Deauville, wo Frankreich direkte
Sanktionen bei Defizitüberschreitungen im Schilde führte zu
verhindern und Deutschland unbedingt eine Beteiligung des
Privatsektors beim Schuldenabbau wollte, sind Gift für die EU. Nicht
nur für die Substanz, sondern weil hier zwei fundamental nationale
Interessen zum EU-Interesse dekliniert wurden. Würden auch andere
Länder das tun, würde die EU ersticken. Der französische Präsident
und die deutsche Kanzlerin haben großen Einfluss, aber noch größere
Verantwortung - gerade in der Euro-Frage! Für Europa aber auch für
die eigenen Länder. Was die Beschlüsse zum Euro angeht, ist vieles
richtig, was im EU-Rat entschieden wurde. Nur bin ich sicher, dass
die EU-Finanzminister den Fehler vermieden hätten, bilaterale
Sicherheiten mit Griechenland einzubauen. Das kann uns in den
anstehenden nationalen Parlamentsdebatten teuer zu stehen kommen.

Juncker hatte schon 2010 Euro-Bonds vorgeschlagen. Merkel will sie
bis heute nicht - warum sind sie richtig?

Als Euro-Gruppenchef stellt er sie nicht zur Debatte um zu
provozieren, sondern weil er richtigerweise überzeugt ist, dass sie
die entscheidende Stabilität bringen. Auch Ex-Außenminister
Steinmeier hat recht, wenn er sagt, gemeinsame Anleihen werden
ohnehin kommen - wir sollten sie nicht tabuisieren, sondern die
strikten Bedingungen ausarbeiten, denen die Länder unterliegen, die
sie beantragen. Die politische Solidarität in der EU hat einen
doppelten geschichtlichen Hintergrund. Deutschland hat nach dem Krieg
seine positive Gründlichkeit, seinen Fleiß, seinen Willen, nie mehr
Katastrophen zu produzieren zum Wohle aller in Europa entwickelt.
Länder wie Griechenland, Spanien und Portugal haben diese Chance erst
viel später bekommen: aus Diktaturen mussten erst Demokratien werden.
Es wurde in einigen dieser Länder gesündigt, aber die starken
EU-Wirtschaften, allen voran Deutschland, profitierten enorm von den
Ländern im Aufbau. Jetzt gilt es zu stabilisieren, Flickarbeit wird
nicht reichen - das globale Gewicht der Euro-Zone schon.

Wie wollen Sie Deutschland umstimmen?

Deutschland wird sich selbst umstimmen. Es geht um sein ureigenes
Interessen. Ein Quäntchen intelligentes Gespür für im Grunde
genommen eigennützige Solidarität täte gut.



Pressekontakt:
Stuttgarter Nachrichten
Chef vom Dienst
Joachim Volk
Telefon: 0711 / 7205 - 7110
cvd(at)stn.zgs.de


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Datum: 29.08.2011 - 08:15 Uhr
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