(ots) - Es ist die türkische Außenpolitik, wie wir sie in
den vergangenen Jahren kennengelernt haben: Wenn es um Israel geht,
neigt die Regierung von Recep Tayyip Erdogan zu wohlkalkulierten
Wutausbrüchen. Nun wurde gar der israelische Botschafter ausgewiesen.
Auslöser der Krise ist ein UN-Bericht über das israelische Aufbringen
der Gaza-Flottille Ende Mai 2010, bei dem neun Menschen starben. Der
Bericht kritisiert zwar das Vorgehen der israelischen Soldaten auf
der "Mavi Marmara", stellt sich aber in vielen anderen Punkten auf
die Seite Israels. Die Blockade Gazas sei legal und angemessen.
Israel habe die Blockadebrecher auch in internationalen Gewässern
abfangen dürfen. Außerdem werden Zweifel angemeldet an dem
Organisator der Flotte, der islamistischen IHH, die Kontakte ins
türkische Regierungslager unterhält. Ankara hätte auch mehr tun
können, um die Eskalation zu verhindern. Das ist eine Ohrfeige für
die Türkei von einer Organisation, die nicht als Freund Israels
bekannt ist. In Ankara verlangt man seit Wochen ultimativ eine
Entschuldigung von Israel, was Jerusalem verweigert. Der UN-Bericht
empfiehlt Israel, "angemessenes Bedauern" über die türkischen Toten
auszudrücken. Das hat Regierungschef Benjamin Netanjahu getan und
Bereitschaft zur Entschädigung signalisiert. Deshalb ist die von
Ankara betriebene Eskalation inakzeptabel, und es wäre wünschenswert,
wenn dies auch von der Bundesregierung klar zum Ausdruck gebracht
werden würde. Es stünde auch dem Bundestag gut an, seine
unausgewogene Gaza-Resolution zu überdenken, die in Teilen vom
UN-Bericht widerlegt wird. Es war das erste Mal in der
Nachkriegszeit, dass sich alle Parteien auf einen gemeinsamen
Beschluss einigen konnten. Es handelt sich nicht um ein Ruhmesblatt
der deutschen Parlamentsgeschichte. Man darf jedenfalls erwarten,
dass der Bundestag nicht weniger Verständnis für Israels Sicherheit
aufbringt als die UN und mehr vom Völkerrecht versteht als in der
Resolution zum Ausdruck kommt. Sie ist auch ein Beleg für schwindende
außenpolitische Expertise im Parlament. Erdogans versucht nun erneut,
mit antiisraelischen Tönen um Sympathien in der arabischen Welt zu
werben. Angesichts der engen Kontakte, die die Türkei noch bis vor
Kurzem etwa zum libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi und seinem
syrischen Kollegen Baschar al-Assad unterhielt, ist das ein leicht
durchschaubarer Schachzug aus dem Handbuch arabischer Autokraten.
Sicher, auch Israel hat in den letzten Jahren viele Fehler gemacht,
die zu einer Entfremdung beider Länder beigetragen hat. Aber Europa
sollte sich nichts vormachen: Die Eklats, die Erdogan mit Israel
sucht, sind Teil einer strategischen Neuorientierung. Die Türkei
definiert sich immer mehr als islamisches und immer weniger als
westliches Land. Und Europa und die USA schauen meistens nur zu und
hoffen, es möge nicht gar so schlimm werden. Dabei tritt die Türkei
besonders in Nah- und Mittelost oft nicht mehr als Partner, sonders
als Konkurrent des Westens auf. Es wird langsam Zeit, nicht mehr nur
als bloßen Betriebsunfall zu werten, was tatsächlich ein allmählicher
Abschied der Türkei vom Westen ist.
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