(ots) - Es wird immer eine Welt vor und eine nach dem
11. September 2001 geben. Kein anderes Ereignis hat unsere
Wahrnehmung, unsere Gesellschaft und unser Denken so nachhaltig
geprägt wie die Anschläge auf das World Trade Center und das
Pentagon. Der Begriff "Zeitenwende" ist überstrapaziert, ebenso wie
die Aussage, 9/11 sei der Tag, der die Welt verändert hat. Aber
deswegen sind beide nicht weniger treffend. Seit zehn Jahren lebt die
westliche Welt im Ausnahmezustand. Wir sind geprägt von der
permanenten Angst vor einer Bedrohung, die einmal als "diffus"
daherkommt, dann wieder konkret wird, meist an den Tagen, wenn
Großereignisse um den 11. September herum anstehen. Die vereitelten
Anschläge in Berlin sind der Beweis dafür, dass wir ein Jahrzehnt in
Unwohlsein verbracht haben, wenngleich die Pläne wohl noch nicht sehr
weit gediehen waren. Die Politik hat darauf reagiert, und das auf
vielerlei Weise. Wir haben uns damit abgefunden, dass wir stärker
überwacht werden. Dass wir uns mit Begriffen wie
"Vorratsdatenspeicherung", "biometrischen Daten" oder "Nacktscannern"
auseinandersetzen müssen und auch noch deren Realität als normal
empfinden. Und wir haben gelernt, das es wieder große Kriege auf der
Welt gibt, die aber ohne echte Sieger und Verlierer geführt werden -
und dass auch wir Deutsche wieder in den Krieg ziehen. Der 11.
September war auch deswegen eine Zäsur, weil er das Ende vom
geglaubten "Ende der Geschichte einläutete". Der
Politikwissenschaftler Francis Fukuyama hatte 1992 in einem Buch mit
diesem Titel die These verbreitet, nach dem Ende des Kalten Kriegs
sei die weltgeschichtliche Entwicklung auf ihrem Höhepunkt und Ziel
angekommen. So fern diese These uns heute scheinen mag, sie Ausdruck
einer weitverbreiteten Weltanschauung. Jetzt blickt die Welt auf New
York, wo Ground Zero für immer das Loch in unserem Inneren
symbolisieren wird, die Fassungslosigkeit, die der Anschlag aus im
wahrsten Sinne heiteren Himmel hinterließ. Heute kann niemand mehr
verstehen, wie die Welt einst glauben könnte, sie sei einem Ziel auch
nur nahe. Was bleibt von 9/11 wird sich aber erst noch zeigen. Die
Kinder und Jugendlichen, die den Tod Osama Bin Ladens auf den Straßen
New Yorks und Washingtons bejubelt haben, sind in dieser neuen Welt
aufgewachsen, die nur Bedrohung und Krieg kennt, dazu eine desolate
Wirtschaftslage in Folge der Dauerkriege. Und die Kinder und
Jugendlichen hier, die die Mauer nur noch aus Erzählungen kennen,
sind ebenfalls in einer Welt aufgewachsen, in der der Krieg der
Kulturen nur immer einen Hauch weit entfernt war; in der Islam-Angst
und Fremdenfeindlichkeit plötzlich aus einer neuen Richtung neuen
Antrieb erhielten; in der Bilder von Särgen deutscher Soldaten
Medienrealität geworden sind. Und es gibt Kinder und Jugendliche in
der arabischen Welt, im Irak und in Afghanistan, die auch nur den
Krieg kennen und die Parolen von jenseits einer nicht klar
verlaufenden Front, die sie in die Hände der Extremisten locken
wollen, weil die ihnen Bildung und Lebensunterhalt bieten, etwas, das
der Westen zu oft nur versprach. Es sind diese Kinder und
Jugendlichen, an denen sich zeigen wird, was bleibt von 9/11. Es
liegt an uns, ihnen zu zeigen, dass der Hass, der gesät wurde,
überwunden werden muss - und dass er überwunden werden kann. Dass
nicht mit den Mitteln von früher - dem Krieg, der Gewalt - die
Konflikte von heute gelöst werden können. Oder die von morgen.
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