(ots) - Warum warten die islamistischen Taliban nicht
einfach ein paar Jahre ab, um in aller Ruhe wieder die Macht zu
übernehmen? Ende 2014 nämlich will die westliche Allianz ihre
Kampftruppen aus dem Land abziehen und die Verantwortung für die
Sicherheit des Landes an die afghanische Armee und Polizei
übertragen. Nicht wenige halten das für ein ehrgeiziges, ja
illusorisches Ziel. Ob nun die Taliban, das von Pakistan aus
operierende Hakkani-Netzwerk oder das islamistische Terrornetzwerk
al-Qaida für den perfiden Mord am ehemaligen afghanischen Präsidenten
Burhanuddin Rabbani verantwortlich ist - das Attentat in der stark
gesicherten grünen Zone von Kabul zeigt, dass die islamistischen
Fanatiker in ihrem asymmetrisch geführten Krieg jederzeit und überall
zuschlagen können. Sie wählen immer öfter Kabul für ihre
hinterhältigen Angriffe, weil die öffentliche Wahrnehmung dort am
größten ist. Es ist erst eine Woche her, da lieferte sich eine kleine
Taliban-Kommandoeinheit ein 20-stündiges Gefecht mit
Sicherheitskräften - nicht im weitgehend rechtsfreien Stammesgebiet
an der Grenze zu Pakistan, sondern eben mitten in Kabul. Die
Extremisten meiden offene Feldschlachten, die sie gegen die weit
besser gerüsteten Nato-Truppen nur verlieren können. Sie setzen
stattdessen auf spektakuläre Aktionen und gezielte Morde. Das soll
die Gegenseite demoralisieren und der Welt zeigen, wie wirksam auch
nach zehn Jahren Besatzung und Bürgerkrieg noch immer die
islamistischen Netzwerke handeln können. Das tödliche Attentat auf
den Vorsitzenden des Hohen Friedensrates beweist auf besonders
drastische Weise, dass die Aufständischen nicht nur in den meisten
entlegenen Provinzen Afghanistans die Lage beherrschen, sondern auch,
dass sie in Kabul die politische Agenda bestimmen. Und: Sie sprechen
vielleicht über Frieden und Versöhnung, aber sie wollen beides nicht.
Es ist nicht auszuschließen, dass einige Taliban aus pragmatischen
oder machtpolitischen Gründen sich mit der Regierung arrangieren
könnten. Aber zumindest die unbelehrbaren Fanatiker unter ihnen
wollen zurück an die Macht, von der sie die alliierten Truppen 2001
vertrieben haben. Unter ihrer Ägide soll Afghanistan zu einem
islamischen Gottesstaat werden. Rabbanis Tod ist ein großer
persönlicher Rückschlag für Präsident Hamid Karsai, dessen Netzwerk
aus Verbündeten und Vertrauten systematisch eliminiert wird. Die
Taliban kommen an ihn selbst nicht heran, also töten sie sein Umfeld.
Im vergangenen halben Jahr starb ein halbes Dutzend
Karsai-Verbündete, darunter sogar sein Halbbruder. Hamid Karsai wird
immer mehr zu einem Präsidenten ohne Hausmacht, künstlich beatmet von
den Isaf-Truppen. Wenn sie das Land verlassen haben werden, ist nicht
nur sein Leben, sondern auch die Zukunft Afghanistans in Gefahr. Und
damit es bei dieser Lesart bleibt und jede Schaffung von
Infrastruktur und jeglicher Anschein von Aufbau in Ordnung
unterbleibt, warten die Taliban eben nicht bis 2014, sondern
terrorisieren ein verängstigtes Volk, das sich nach mehr als 30
Jahren Besatzung und Bürgerkrieg nach nur noch einem sehnt: Frieden.
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