(ots) - Die Europäische Union (EU) stellt eine Ordnung
dar, in der mittlerweile 500 Mio. Bürgerinnen und Bürger gemeinsam in
Frieden und Freiheit leben können. Das ist ein hohes Gut. Deshalb
tritt die EKD nachdrücklich dafür ein, diese Ordnung als
demokratisches Gemeinwesen weiter zu entwickeln. Doch hohe
Staatsverschuldungen, das Misstrauen an den Finanzmärkten und die
Undurchschaubarkeit des Verhaltens ihrer Akteure beunruhigen viele
Menschen in unserem Land. Offensichtlich ist bei den politisch und
wirtschaftlich Verantwortlichen die Unsicherheit groß. Welche
Maßnahmen in der gegenwärtigen Lage in welcher Weise wirken, kann nur
vermutet werden und sich nicht auf historische Erfahrungen berufen.
Die Schuldenkrise führt zum Vertrauensverlust in die
Gemeinschaftswährung. Dies berührt das Vertrauen der Menschen in die
Politik und in die Zukunft der europäischen Integration. Jetzt muss
sich bewähren, was unsere Vorfahren mit der Vision des vereinten
Europa im Blick hatten: Die Gemeinschaft der europäischen Völker ist
nur dann eine wirkliche Gemeinschaft, wenn sie über den
wechselseitigen Vorteil hinaus auch die Bereitschaft zu Respekt und
Solidarität verankert. Deshalb darf die Debatte in Deutschland um die
Begrenzung der Finanzkrise nicht auf nationale Interessen beschränkt
werden. Sie muss sich einem weiteren Horizont öffnen und die
Verantwortung Deutschlands als einer starken Wirtschaftsnation in der
EU berücksichtigen. Wie die jüngsten Entwicklungen zeigen, ist das
Wort des Rates "Wie ein Riss in einer hohen Mauer" aus dem Jahre 2009
nach wie vor gültig. Die politische Gestaltung seiner Forderungen
steht noch aus. Der Vorsitzende des Rates bekräftigt deshalb einige
sozialethische Grundsätze:
1.Die gemeinsame europäische Währung hat in den letzten zwölf
Jahren das Zusammenleben nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet
gefördert. Die jüngsten Entwicklungen haben jedoch grundlegende
Schwachpunkte des bisherigen finanzpolitischen Regelwerkes der
Euro-Zone offen gelegt und die wirtschaftlichen Konsequenzen
dauerhaft unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit zutage treten
lassen. Vor dem Hintergrund der Finanzkrise wurde sichtbar, dass die
hohe Verschuldung vieler Länder in Verbindung mit einer mangelnden
Koordination der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu einer intensiveren
Gestaltung des Zusammenhaltes der EU nötigt, damit sie dauerhaft
Bestand hat.
2. Wie die Realwirtschaft hat auch die Finanzwirtschaft für die
Gesellschaften eine dienende Funktion: Ihre Kernaufgabe ist es, den
Geldverkehr für den Austausch von Gütern wahrzunehmen,
Rücklagenbildungen zu organisieren und Geldmittel für Investitionen
bereitzustellen. Die staatlichen Ordnungen haben die Aufgabe,
Rahmenbedingungen zu setzen, die Risiken den Verantwortlichen
zuzuordnen und geordnete Finanzmärkte zu ermöglichen. Nach der
Bankenkrise von 2008 ist die Aufgabe nicht erfolgreich angepackt
worden, für die Finanzmärkte einen verstärkten Ordnungsrahmen zu
schaffen. Unzureichend geordnete Märkte aber erweisen sich erneut als
ein zu großes Risiko für die gesamte Gesellschaft. Die EKD erneuert
in diesem Zusammenhang ihren Vorschlag, eine Transaktionssteuer
einzuführen.
3. An den Finanzmärkten konnten in den letzten Jahren exorbitante
Gewinne erzielt werden. Dabei wurden erhebliche Risiken in Kauf
genommen. Es widerspricht dem Prinzip der Gerechtigkeit, wenn die
Gewinne Akteuren an den Finanzmärkten zugutekommen, die Risiken aber
von der Gesellschaft insgesamt und in der Gesellschaft auch von den
Schwächsten getragen werden müssen. Wenn das Geschehen an den
Finanzmärkten Arbeitsplätze und soziale Sicherheit gefährdet, wird
das von den Menschen zu Recht als ungerecht und bedrohlich empfunden.
4. Derzeit wird die Leistungsfähigkeit der westlichen Staaten
wesentlich durch die Besteuerung des in der Realwirtschaft erbrachten
Mehrwertes ermöglicht. Es stellt sich die Frage, wie die an den
Finanzmärkten erzielten Gewinne zur Leistungsfähigkeit der Staaten in
angemessener Weise herangezogen werden können.
5. Ein funktionierendes Wirtschaftsleben setzt Vertrauen zwischen
den Wirtschaftspartnern und zwischen den Staaten voraus. Dieses
Vertrauen konnte nach der letzten Finanzkrise neu aufgebaut werden,
scheint aber gegenwärtig zu erodieren. Neben dem Rettungsschirm für
den Finanzsektor und der Sicherung schwacher Staaten durch
Rettungsschirme muss vor allem auch das Vertrauen der Bevölkerung in
das Funktionieren der wirtschaftspolitischen Strukturen in Europa
gestärkt werden. Dazu ist es nötig, über kurzfristige Instrumente
hinaus eine langfristig wirkende gemeinsame politische Strategie zu
entwickeln. Dafür tragen die in den Gremien der EU zusammenwirkenden
Staaten die Verantwortung.
6. Politisches und wirtschaftliches Handeln muss an dem Grundsatz
der Generationengerechtigkeit orientiert sein. Schulden sind nur in
dem Maße vertretbar, wie der entsprechende Schuldendienst die
Leistungskraft einer Gesellschaft nicht überfordert. Die bestehenden
Schulden sind in einer Weise abzubauen, die eine Rezession mit ihren
Folgen für breite Bevölkerungsschichten vermeidet und
Zukunftsperspektiven für die kommenden Generationen ermöglicht.
7. Wirtschaftliches Handeln hat sein höchstes Ziel darin,
möglichst allen Menschen ein für ihr Leben ausreichendes Maß an
Gütern und Dienstleistungen bereitzustellen. Die Maximierung von
Gewinnen muss dahinter zurücktreten. In der sozialen Marktwirtschaft
hat die Politik den Auftrag, Rahmenbedingungen zu setzen, die diese
Zielsetzung stützen. Das gilt nicht nur für die Realwirtschaft,
sondern auch für die Finanzwirtschaft. In Wirtschaftskrisen ist
besonders darauf zu achten, dass nicht die Schwächsten am härtesten
betroffen werden. Es ist nicht nur Ausdruck sozialer Gerechtigkeit,
sondern es muss auch zur Ehre der Vermögenden gehören, dass sie einen
größeren Beitrag zur Wiederherstellung des wirtschaftlichen
Gleichgewichtes leisten. Deshalb gilt: "Was nicht im Dienst steht,
steht im Raub." (Martin Luther in einer Predigt über Lukas 19, 29-34
im Jahre 1523)
Wir vertrauen darauf, dass Gottes Handeln gegenwärtig wirksam ist
und uns auch in schwierigen Zeiten tragen wird - aber es ist an uns
allen gemeinsam, das unsrige zu tun.
Hannover, 28. September 2011
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick
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