PresseKat - Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel Mittelbayerische Zeitung Regensburg zu Polen

Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel Mittelbayerische Zeitung Regensburg zu Polen

ID: 496633

(ots) - Donald Tusk hat für sich, seine Partei und sein
Land viel erreicht. Er ist der erste polnische Premierminister seit
1989, der wiedergewählt worden ist. Er hat seinen Parteifreund
Bronislaw Komorowski ins Präsidentenamt gehievt, der Tusk
unterstützt, statt ständig mit Veto zu drohen wie einst Lech
Kaczynski. Nicht zuletzt hat Tusk Polen sicher durch die
Weltwirtschaftskrise gesteuert. Das ist ihm gelungen, obwohl ihm mit
Jaroslaw Kaczynski seit Jahren ein Kontrahent gegenübersteht, der in
keiner Sachfrage zur Zusammenarbeit bereit ist, sondern erbittert
Opposition betreibt. Zu seinen Erfolgen also kann man Donald Tusk
eigentlich nur gratulieren. Selten aber war die Mahnung, jemand solle
sich besser nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen, so sehr am Platz wie
in diesem Fall. Tusk hat bisher vor allem Politik-Management
betrieben. Er hat seine Macht und das Land verwaltet, statt zu
gestalten. Das mag mitunter das Beste sein, was ein Regierungschef
tun kann. Vor allem in Krisenzeiten können allzu gewagte
Entscheidungen viel Schaden anrichten. Auf Dauer reicht es aber
nicht, Stabilität zu garantieren. Polen braucht mehr. Beispiel
Infrastruktur: Mehr als 20 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges
gibt es noch immer keine Autobahn, die Berlin mit Warschau verbindet.
Und das ist kein Einzelfall. Der Straßenbau in Polen lahmt, viele
Bahnstrecken sind dringend sanierungsbedürftig. Tusk ist nicht aus
den Startlöchern gekommen. Das aber ist ein Armutszeugnis in einem
Wirtschaftswunderland. Ähnlich sieht es im maroden Gesundheitssystem
aus. Und mit Blick auf den verkrusteten Arbeitsmarkt gelten die heute
20- bis 30-Jährigen schon jetzt als verlorene Generation. Für eine
Regierung, die angetreten ist, Polen zu modernisieren, ist die Bilanz
des ersten Kabinetts Tusk enttäuschend. Nun aber ist die Zeit, nach
vorn zu schauen. Und da stellt sich vor allem die zukunftsweisende




Frage der Euro-Einführung in Polen. Nach seinem Amtsantritt hatte
Tusk einen schnellen Beitritt zur Währungsunion angekündigt. Dann
brach 2008 die Weltfinanzkrise aus, und den überzeugten Europäer
verließ der Mut. Inzwischen ist die Euro-Zone eine einzige Baustelle.
Der Zutritt sei deshalb verboten, behauptet Warschau. Doch das sind
Ausflüchte. In Wirklichkeit steckt die Angst vor dem Bürgerzorn
dahinter. Viele Polen haben nach 20 Jahren permanenter Veränderungen
erst einmal genug von revolutionären Neuerungen und wollen ihren
Zloty behalten. Der bot dem Land im Übrigen auch die Möglichkeit, in
der Weltwirtschaftskrise durch eine Währungsabwertung den Export
anzukurbeln und auf Kosten anderer EU-Mitglieder das eigene Wachstum
zu stützen. Gleichzeitig nörgelt der polnische Finanzminister bei
jeder sich bietenden Gelegenheit daran herum, dass ihn die
Euro-Zonen-Mitglieder nicht zu ihren Beratungen einladen. Selbst
schuld, kann man da nur sagen. Ein überzeugender politischer
Zukunftsentwurf sieht anders aus als das, was Donald Tusk bislang
präsentiert hat. Der Polit-Rebell Janusz Palikot, der bei der Wahl am
Sonntag nicht von ungefähr zehn Prozent der Stimmen auf sich
vereinigen konnte, hat den Finger in diese Wunde gelegt. Zieht man
bei ihm die Clownerie des Wahlkampfes ab, bleiben ernst zu nehmende
Thesen übrig. Er sei immer ein Anhänger einer tiefgreifenden
Modernisierung des Landes in allen Lebensbereichen gewesen, sagt
Palikot. Zugleich brauche die Gesellschaft aber ein neues Wir-Gefühl,
wie es die antikommunistische Freiheitsbewegung Solidarnosc einst
verkörperte. Man mag darüber fachsimpeln, wann und warum dieser
Gemeinschaftssinn verloren gegangen ist und ob die Radikalreformer
der 90er-Jahre daran schuld sind oder der Spalter Kaczynski. Fakt
ist: Donald Tusk ist es nicht gelungen, diesen Trend umzukehren.
Deshalb auch ist die gegenwärtige Stabilität in Polen kaum mehr als
eine optische Täuschung. Der Premier hat angekündigt, die zweite
Amtsperiode werde seine letzte sein. Das gibt ihm die Chance, endlich
mutig zu handeln. Es ist höchste Zeit.



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Datum: 10.10.2011 - 19:02 Uhr
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