(ots) - In diesen Tagen wird heftig über Rettungsschirme,
Hebel, Schuldenschnitte und Staatsinsolvenzen zur Rettung
Griechenlands und des Euro gestritten. Dabei geht es nur
vordergründig ums Geld. Zwar ist es richtig, dass die im europäischen
Kasino ins Spiel gebrachten, immer höheren dreistelligen
Milliardenbeträge längst das Vorstellungsvermögen der Bürger - und
auch das vieler Politiker - überstiegen haben. Doch in Wirklichkeit
geht es um noch viel mehr. Es geht um die Zukunft des vereinten
Europa. Um die Existenz einer Gemeinschaft, der wir Europäer nach dem
verheerenden Weltkrieg Frieden und Wohlstand in den vergangenen 60
Jahren verdanken. Diese einzigartige Erfolgsgeschichte steht auf der
Kippe. Weil Vertrauen und Verlässlichkeit zwischen den Partnern
geschwunden sind, die sich von einst sechs auf 27 Mitglieder vermehrt
haben, von denen wiederum 17 am Euro teilhaben. Die EU - das war
bisher eine Wohlfühlgemeinschaft, in der es wirtschaftlich stets
bergauf ging, die grenzenloses Reisen bescherte, in der es
Niederlassungsfreiheit gibt und einen Binnenmarkt, von dem vor allem
der deutsche Export profitiert. Die ärgerliche Brüsseler
Regulierungswut etwa beim Krümmungsgrad der Gurke wurde belächelt
hingenommen. Und bei Griechenlands Aufnahme in den Euro-Klub
großzügig darüber hinweggesehen, dass die Griechen dafür noch gar
nicht reif waren. Jetzt, da sich vieles früher Versäumte rächt und
die EU in ihrer tiefsten Krise steckt, zählen die selbstverständlich
gewordenen Errungenschaften nicht mehr, ja, da wird sogar das ganze
Konstrukt Europa infrage gestellt. Wer spart schon gern, um die
Schulden der anderen zu begleichen? Die Stimmung der Bevölkerung
jedenfalls - und nicht nur die in Deutschland - wendet sich immer
ungenierter gegen den europäischen Einigungsprozess. Europa steht
nicht länger für Wohlstand, sondern für dessen Bedrohung. In dieser
Krise stoßen die unterschiedlichen nationalen Interessen und
Mentalitäten so hart aufeinander wie wohl noch nie zuvor in der EU.
Das macht eine Lösung der Euro-Krise so schwierig und die Menschen so
misstrauisch. Da flüchten sich selbst die deutschen Parlamentarier,
die ansonsten gar nicht laut genug nach mehr europäischer Integration
samt Verzicht auf Souveränitätsrechte rufen, in nationale Vorbehalte.
Nichts anderes ist das erzwungene Einknicken der Kanzlerin vor der
Opposition. Und so wird sie sich am Mittwoch vom Bundestag das Plazet
für eine bestimmte Handlungsoption und damit eingeschränkten
Spielraum für den zweiten, angeblich entscheidenden Euro-Krisengipfel
geben lassen. So verständlich das Beharren der Parlamentarier auf
ihrem Budgetrecht angesichts der Summen, um die es geht, so riskant
die Folgen für die Kanzlerin und uns alle. Der Parlamentsvorbehalt
könnte Merkels Verhandlungsspielraum so einengen, dass es ihr
unmöglich wird, am Mittwoch beim nächsten Euro-Krisengipfel dem
überfälligen Kompromiss zuzustimmen. Schlägt auch der fehl, erweisen
sich die Euro-Staaten und mit ihnen die EU nicht nur unwillig,
sondern auch unfähig zum Kompromiss. Es wäre das Ende eines vereinten
Europa, auf dem einst so viele Hoffnungen ruhten.
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