(ots) - Die Revolution ist nach Ägypten zurückgekehrt.
Dutzende Menschen sind in den vergangenen Tagen bei Massenprotesten
gegen den regierenden Militärrat umgekommen. Der Kampf der Ägypter um
Freiheit geht in die nächste Runde. Das haben sich die Militärs
selbst zuzuschreiben. Mehr als 12.000 Ägypter wurden nach dem Sturz
von Diktator Husni Mubarak von Militärgerichten abgeurteilt, darunter
auch viele Kritiker des Militärregimes. Dann versuchten die Generäle,
den Parteien Eckdaten einer neuen Verfassung zu diktieren, damit das
Militär auch in Zukunft jeglicher politischer Kontrolle entzogen ist.
Und schließlich wurde der Termin für die Machtübergabe immer weiter
nach hinten geschoben. So bekamen die Ägypter das Gefühl, einen
Diktator gegen ein Militärregime eingetauscht zu haben. Deshalb sind
sie nun erneut auf die Straße gegangen - um ihre Revolution zu
verteidigen. Das Militär war nach dem Sturz Mubaraks noch gefeiert
worden, weil es sich geweigert hatte, den Aufstand
zusammenzuschießen. "Armee und Volk sind eins", war damals die Parole
der Revolutionäre. Eine Umarmungsstrategie, die nie ganz den
Realitäten entsprochen hatte. Schließlich war das Militär mit seinen
weit in die zivile Welt ausgreifenden Wirtschaftsinteressen einer der
wichtigsten Nutznießer des alten Regimes. Auch im Westen gab es die
Hoffnung, die Generäle könnten sich - ähnlich wie das türkische
Militär - als Garant des säkularen Staates verstehen und Ägypten in
der turbulenten Übergangszeit stabilisieren. Tatsächlich ist der
Militärrat aber nicht als ehrlicher Makler des Übergangs aufgetreten,
sondern die Generäle versuchen unter ihrer Führung so etwas wie eine
gelenkte Demokratie zu etablieren. Das wollten vor allem die
islamistischen Muslimbrüder verhindern. Sie befürchteten, nach einem
wahrscheinlichen Wahlsieg um die Macht betrogen zu werden und hatten
deshalb die Demonstration auf dem Kairoer Tahrir-Platz am Freitag
organisiert, was dann in den folgenden Tagen zu einem weit breiter
aufgestellten Protest gegen den Militärrat wurde. Nun droht die
liberale Opposition im Machtkampf zwischen Islamisten und Militär
zerrieben zu werden. Denn auch die Moderaten hoffen, dass das Militär
in Zukunft totalitäre und intolerante Bestrebungen in der
übermächtigen Muslimbruderschaft ausbalanciert. Gleichzeitig müssen
sie sich auf die Seite der Revolutionäre stellen, die gegen den
Schatten einer Militärdiktatur aufbegehren. Ein unauflösbares
Dilemma. Auch der Westen steht vor einem Zwiespalt. Einerseits hegt
man die Hoffnung, das Militär könnte eine Versicherungspolice gegen
radikale Elemente sein, die möglicherweise in die Regierung gewählt
werden. Andererseits kann man sich nicht vor der Forderung nach
wirklicher Demokratie verschließen, die eine politische Kontrolle des
Militärs einschließt. Dem Westen bleibt so nicht viel anderes übrig,
als sich heute gegen das Militär und für mehr Freiheit und Demokratie
einzusetzen - und nach der Wahl dann dieselben Forderungen an
Muslimbrüder und andere zu stellen, falls sie - einmal an der
Regierung - den Weg von Toleranz, Freiheit und Demokratie verlassen.
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